Die Viermastbark “Passat“, das Wahrzeichen von Travemünde, hat Geburtstag - und der ganze Ort feiert mit einem maritimen Großereignis.

Unerwartet klein und zierlich liegt sie da, am anderen Ufer der Trave, die stolze Lady. Man muss die Fähre nehmen, um hinüberzugelangen auf die Halbinsel Priwall, und hat dann noch einen kurzen Fußweg vor sich. Je näher man der "Passat" kommt, desto imposanter steigt sie über einem auf.

Gebaut wurde sie bei Blohm & Voss in Hamburg, für 680 000 Goldmark. Sie gehörte zur Familie der Flying-P-Liner, jener eleganten Lastensegler, deren Zeit eigentlich abgelaufen war, an denen der Reeder Ferdinand Laeisz aber immer noch festhielt. 65 von ihnen stürmten oder schlichen über die Weltmeere, je nach Wind. Die Viermastbark "Passat" lief 1911 vom Stapel. Es folgten 40 Jahre bewegten Seglerlebens mit 24 Reisen, jede um die sieben, acht Monate lang, die meisten zwischen Deutschland und Chile, später auch rund um die Welt. 1951 sollte sie verschrottet werden, aber ein Reeder namens Schliewen und später die "Stiftung Pamir und Passat" verhinderten das und schickten sie als Segelschulschiff wieder auf See.

1955 gingen auch Walter Dühring, heute 75, und der zwei Jahre jüngere Klaus Grope an Bord. Schiffsjunge war der eine, der andere Schiffszimmermann - maritime Azubis, würde man jetzt sagen. Beide blieben der Seefahrt treu: Dühring wurde Fischer, Grope Kapitän. Manchmal führen sie nun Besuchergruppen über die "Passat". Zwei "rüstige Rentner", die voll Feuer und trockenem Humor das Schiff auch für diejenigen interessant machen, die ein Großroyal nicht vom Unterbesan oder dem Voroberbramsegel unterscheiden können.

Eine Eisentreppe führt in den Bauch des Schiffes. Mächtige, weiß gestrichene Stahlträger und zusammengenietete Platten bilden den Rumpf. Aus dem Boden ragen dicke Rohre: Auch die Masten sind aus Stahl. Im Laderaum stapeln lebensgroße Figuren in Arbeitsklamotten volle Jutesäcke zur Pyramide. Meist hatte die "Passat" Salpeter geladen, manchmal Weizen, Zement oder Guano. Das Stauen der Säcke war eine Sache für Spezialisten, erzählt Klaus Grope: Zwei Hilfsleute hievten dem Stauer den Sack auf die Schulter. Er trippelte mit kurzen Schritten in den Laderaum und warf die Last mit einem Ruck millimetergenau auf den wachsenden Haufen. "Es wurde kein Fall bekannt, dass so eine Ladung jemals verrutscht wäre." Es geht hinauf an Deck. Lüfter, Poller, Nagelblöcke, Jungfern finden sich da, all die Schiffsteile und Versatzstücke, die jeweils spezielle Funktionen und Bezeichnungen haben. Überall spannen sich Wanten, Staue und Pardunen: So heißen die Drahtseile und Taue, mit denen die Masten stabilisiert und die Segel gesetzt wurden und an denen die Besatzung nach oben stieg. "Stehendes und laufendes Gut" nennen Seeleute das - rund 20 Kilometer davon hatte die "Passat", als sie noch unter Segeln war. In einem kleinen Museum sind Segelmacherhandschuhe, Oktanten und Deckstagebücher ausgestellt. In der Kombüse schneidet ein plastikblasser Schiffskoch gerade Koteletts zurecht. Die beiden Begleiter grinsen sich an: "Gepökeltes Ochsenfleisch aus Fässern! Wenn da mal eines in der hintersten Ecke vergessen wurde, und der Koch es nach drei Jahren hervorzog, konnte man sich die Köppe damit einschlagen." Ist das jetzt Seemannsgarn? "Zehn Jahre nach dem Krieg waren wir alle nicht verwöhnt", gibt Walter Dühring zu. "Eigentlich waren wir mit dem Essen ganz zufrieden." Auch die Ankerwinde mit den Zahnrädern und den mächtigen Ketten weckt Erinnerungen: Viereinhalb Stunden dauerte das Aufhieven einmal, als beide Anker draußen waren. Jeweils zehn Minuten liefen die Jungs im Kreis und drehten die Winde, dann waren sie fix und fertig und wurden abgelöst - immerhin wiegen Anker und Ketten zusammen 47 Tonnen.

Das einzige Segel an Bord heute ist eine Leihgabe der "Sedov": "34 Segel hatte die ,Passat'. Und die in drei Garnituren - alle Begriffe für die Takelage mussten wir kennen." Blöcke und Rollen sind gut in Schuss: "Das Abschmieren gehörte zur Arbeit des Schiffszimmermanns. Er war Allround-Handwerker an Bord." Mit einer Mischung aus Faszination und Gruseln hören die Besucher, wie das war, damals, als die Jungs nachts in die Masten mussten, "klitternass schon auf der ersten Stufe im Want". Das Wasser schwappte in den Stiefeln, oben prasselte ihnen Hagel ins Gesicht, die stocksteife Leinwand ließ sich mit den klammen Fingen fast nicht greifen - und unter dem schwankenden Mast war immer mal wieder nichts anderes zu sehen als die tobende See. Auch an wunderschöne Momente erinnern sich die Männer: An das Segeln vor der brasilianischen Küste, wenn nur das Plätschern der Wellen und das Knarren der Takelage zu hören war, oder an Sonntagabende, an denen man sich an Luke 4 versammelte und auf dem Plattenspieler klassische Musik hörte. Caruso über den Wellen: Das waren die romantischen Seiten der Seefahrt.

An die andere, die dunkle, erinnert im nahen Lübeck in der Seefahrerkirche St. Jakobi das zerschlagene Rettungsboot der "Pamir". Die Halbschwester der "Passat" geriet 1957 in einen Hurrikan und sank. Von 86 Mann Besatzung überlebten nur sechs in zwei Beibooten. Umso erstaunlicher, dass die "Passat" es geschafft hat, 100 Jahre alt zu werden. Im November 1957 geriet auch sie in einen heftigen Sturm und erreichte arg angeschlagen Lissabon und dann Hamburg. Es war das Ende auf See. 1959 kaufte die Hansestadt Lübeck das Schiff. Es wurde Ausbildungsstätte, Wohnschiff und Denkmal. Fest vertäut liegt es am Priwall. Fast zum Greifen nah ziehen die Fähren nach Helsinki und Trelleborg vorbei, die Frachter nach Hanko, Malmö oder Liepaja. Lübeck-Travemünde ist heute der modernste Ro-Ro-Hafen an der Ostsee, mit Verbindungen nach Südschweden und Finnland, ins Baltikum und nach Russland. Die alte Lady beobachtet das quirlige Hafengeschehen und träumt alten Zeiten nach - genau wie die Männer, die ihre Liebhaber waren und sind.