Heute holen sie sich die Bewohner nur noch etwas vom Strandgut, wenn es sich wirklich lohnt. Denn längst ist der Tourismus zur wichtigsten Einnahmequelle geworden.

Ein paar alte Badelatschen - na, das hat sich doch gelohnt! Zufrieden trägt Panscho seinen Fund in die Behausung, die so etwas wie das Wahrzeichen von Amrum geworden ist: die Strandburg in den Kniepsanddünen zwischen Norddorf und Nebel.

Eine gute halbe Stunde Barfußweg vom letzten Parkplatz entfernt steht das Gesamtkunstwerk. Alles, was Stürme und Gezeiten an Land spülten, hat Panscho zu einer Burg zusammengezimmert. Holzplanken, Reste von Fischernetzen, Tonnen, Taue, Sonnenmilchtuben - das sind seine Baumaterialien. Und eben Badelatschen. Die Kunst an der Küste kommt nicht von ungefähr: Panscho ist studierter Künstler, heißt mit bürgerlichem Namen Otfried Schwarz.

Aber bürgerlich ist so ziemlich gar nichts an ihm und seiner Recyling-Hütte. So manche laue Sommernacht hat er in hier in seiner "Sommerresidenz" verbracht. Gestrandet ist Panscho nicht, seine Wahlheimat ist Berlin, wo er weiter Atelier und Wohnung hat. Aber pünktlich zum Frühjahr kommt er auf "seine" Insel, um nach den Resten zu sehen. Denn meistens ist die Strandburg vom Kniepsand verschüttet, und Panscho darf nicht nur recyceln, sondern auch renovieren.

Der Strand, das war schon immer Amrums Lebenselixier. Und meistens fernab der Legalität. Strandräuberei - das war die Haupteinnahmequelle der Insulaner. Noch vor dem Fischfang. Und sollte sich ein Kapitän in seiner Fahrrinne doch nicht verirren, halfen die Amrumer ein wenig nach. Mit falschen Leuchtfeuern lockten sie die Schiffe auf den fatalen Kurs. Gewöhnlich endete die Seereise dann auf einer der vielen Sandbänke vor Amrum. Der Bergelohn für die "hilfsbereiten" Inselbewohner: ein Drittel des Wertes von Schiff und Ladung. Ein weiteres Drittel stand dem Landesherren zu, der zur Kontrolle seine Strandvögte in den Kniepsand schickte. Denn was an den Strand gespült wurde, war nicht Allgemeingut. Meist kam die "Strandpolizei" jedoch zu spät: Die listigen Insulaner hatten den Fund bereits im Morgengrauen davongeschafft.

Georg Quedens, Amrums Autor und Inselschreiber, hat akribisch darüber Buch geführt. Auch über Amrums bekanntesten Strandungsfall: Am 29. Oktober 1998 lief der Holzfrachter "Pallas" vor der Insel auf Grund und verursachte eine Ölkatastrophe. Das Schiff brannte aus und liegt seitdem als Wrack auf der Sandbank. Aber Amrum wäre nicht Amrum, hätte das Holz der "Pallas" nicht ein neues Zuhause gefunden. Panscho verbaute ein paar Planken in seiner Burg; in manch einem Vorgarten steht heute ein "Pallas"-Pfosten. Weitaus größere "Bestände" bilden das Interieur der "Blauen Maus". Die Musik-Kneipe ist der Treffpunkt der Insel. Seit Anfang der 60er-Jahre wird hier alles ausgeschenkt, was die Zunge lockert. Jan von der Weppen hat seine Eltern beerbt und steht seit 40 Jahren hinter der Theke. "Bei mir hängt viel von der ,Pallas'", gibt er offen zu. Damals war der Strandungsfall ein Medienereignis. TV, Radio und Zeitungen - alle berichteten. Und die Blaue Maus war so etwas wie die inoffizielle Redaktionsstube. Hier wurden die Infos gehandelt. Offizielle und inoffizielle. Womöglich hatte manche Auskunft ihren Preis. Die Gäste der Blauen Maus weisen in ihren Stammbäumen mit Sicherheit einige "Familienfälle" von Strandräuberei auf. Aber das ist lange her.

1875 nahm Amrums Leuchtturm seinen Betrieb auf, und seitdem fielen kaum noch Kapitäne auf die falschen Feuer herein. Auch wenn es Strandungsfälle weiter gab. Georg Quedens hält die Geschichten am Leben. Schließlich waren seine Vorfahren die "Bergungskönige" der Insel. Nachzulesen in seinem Buch "Schiff auf Strand". Es vergeht kaum ein Tag, an dem er nicht einen Diavortag zu seinem Lieblingsthema hält. Ob in der Nordseehalle in Wittdün oder im Haus des Gastes in Nebel. Das Dorf ist das schönste der Insel. Wie viel Reetdach-Luxus in Nebel durch Strandräuberei finanziert wurde, möge in den Annalen Amrums bleiben.

Zu Reichtum kam einst auch ein gewisser Cornelius Bendixen. Der Kapitän baute für sich und seine Familie ein großzügiges Haus am Wattenmeer. Nach den alten Vorlagen rekonstruiert, steht nun dort Amrums schönstes Ferien-Refugium, der Friesenhof. Friesisch-fein auch die Seekiste in Nebel, eines der besten Fisch-Restaurants der Insel. Eine Gourmetdichte wie auf Sylt gibt es auf Amrum nicht. Und auch Gucci-Gäste sind hier eine gerade noch tolerierte Minderheit.

Vor allem Familien mit Kindern zieht es auf die nordfriesische Insel. Strandräubergeschichten sind ein pädagogischer Trumpf, den Eltern gerne ausspielen. Welcher Sprössling will nicht in ein Restaurant, das "Likedeeler" heißt, benannt nach den Kaper-Kumpanen Klaus Störtebekers. Aber Amrum trumpft nicht nur durch Freibeuter-Romantik. Reggae-Konzerte in den Dünen von Norddorf gehören ebenso zur Inselkultur wie das Klassik-Open-Air in Nebel. Größtes Plus ist natürlich der breite Strand, der sogar einem verbauten Städtchen wie Wittdün mehr Flair verleiht. Hier an der Insel-Südspitze hat der Kniepsand eine Ausdehnung von geschätzten hundert Fußballfeldern. Wer sich einmal im Kniepsand gewälzt hat, spürt förmlich in seiner Badehose, woher der Name kommt: Der Sand "kniept" (kneift).

In Wittdün kommen die Fähren von Dagebüll an, die über Föhr in zwei Stunden Amrum erreichen. Die fehlende Freundlichkeit und Servicebereitschaft der Fährgesellschaft ist allerdings so manchem auf Amrum ein Dorn im Auge. Sollte die Fähre in nächster Zeit auf einer Sandbank stranden, dann wird das kein Zufall sein. Und Panscho hätte eine Menge neues Material für seine Strandburg.