Auf Hallig Hooge wohnen Urlauber unterm Reetdach und lauschen dem Geschrei der Seevögel. Baden kann man auch, aber darauf kommt es nicht an

Auf den ersten Metern unterhalb der Steinkante, die das Ufer von Hallig Hooge vor der Nordsee schützt, matscht weicher Schlick zwischen den Zehen. Die Sohlen spüren Muschelschalen. Bald kitzelt fester feinkörniger Sand. "Das erste Mal barfuß laufen bringt ordentlich Muskelkater", sagt Wattführerin Swantje Paprotta. Dann kommt der Japsand in Sicht. Wüstenhaft wölbt sich der kilometerlange Sandbuckel. Das Wasser hat sich ganz zurückgezogen. Am Westrand der Sandbank, deren größter Teil in der Kernzone des Nationalparks liegt und nicht betreten werden darf, fällt das Ufer steil ab.

Wir stehen mitten in der Nordsee, die an schönen Sommertagen glänzt wie ein Teich. Doch sollte sich niemand allein hierher wagen. Paprotta hat immer einen Kompass und ein Handy dabei. "Der Eiswinter hat viel verändert", stellt sie fest. Priele sind breiter geworden, schlickige Bereiche haben sich verlagert. "Man darf die Gefahr nie unterschätzen."

Eine Wattwanderung zählt auch für Katja Just, die Ferienwohnungen unter dem Reetdach eines alten Bauernhauses auf der Ockenswarft vermietet, zu den Höhepunkten des Halligurlaubs: "Hinausgehen, die Weite genießen und das Festland vergessen können, weil man es nicht sieht, das ist toll." In den Sommermonaten haben die rund 100 Bewohner der nach Langeneß zweitgrößten deutschen Hallig kaum Mühe, ihre Ferienwohnungen, Gästezimmer und Gruppenunterkünfte zu vermieten. 49 000 Übernachtungen zählte Erco Lars Jacobsen vom Touristikbüro im vergangenen Jahr. Dazu kommen rund 90 000 Tagesgäste.

Von Mai bis September sprüht Hooge geradezu vor Leben. Die Luft ist erfüllt vom Geschrei Tausender Seevögel. "Die Farben ändern sich mit den Monaten. Es beginnt gelb, wird dann rot und geht mit dem Sommer immer mehr in dunklere Töne über", beschreibt Just die Blütenpracht der Hallig aus Klee, Strandflieder und Rotschwingel. Ein Paradies für Bienen, die einen würzigmilden Hallighonig produzieren. Den gibt es bei Renate Kuhnke im wahrscheinlich kleinsten Supermarkt Deutschlands auf der Hanswarft. "Ich würde gerne mehr Produkte von hier anbieten. Außer Lamm und Honig werden auf Hooge aber keine Produkte mehr erzeugt", bedauert sie. Der letzte Milchbauer hat seine Käsemanufaktur vor Kurzem aufgegeben. Die Rinder auf den salzigen Wiesen kommen überwiegend vom Festland. Die Hooger und ihre Urlauber sind auf den Laden angewiesen, in dem es auf wenigen Quadratmetern alles gibt, was man täglich braucht.

Fragt man Halliggäste, warum Hooge ihr Urlaubsziel ist, kommen immer ähnliche Antworten: Ruhe und Frieden, Weite und Klarheit. Christian und Ilona de Laffolie aus Kassel sind mit Hund Siri zum zweiten Mal angereist. "Man kommt hier so gut runter", sagt Ilona de Laffolie. Und so sitzen die drei gerne im Windschatten ihres Hauses auf der Westerwarft, genießen die Sonne und den ungestörten Blick hinüber zu den anderen Wohnhügeln.

Die Hooger Kirche sollten Gäste nach Überzeugung von Katja Just unbedingt sehen. Der Sturmflutpfahl am Fuß der Kirchwarft mit den Markierungen der höchsten Wasserstände soll aber keine Angst machen. Alle Wohnhügel wurden in den vergangenen Jahren verstärkt und erhöht, sodass die Hooger zwar Respekt vor der Nordsee haben - aber zumindest in diesem Jahrhundert den Untergang trotz Meeresspiegelanstiegs nicht ins Auge fassen müssen. Die Kirche ist ein Schmuckstück, gebaut ab 1637 - kurz nach der großen Flut 1634. Ein Teil des Baumaterials lieferte die erst zehn Jahre zuvor geweihte und in dieser Flut zerstörte Kirche von Osterwohld. Neben Ruhe bietet Hooge mehr, als auf den ersten Blick zu sehen ist. Jacobsen empfiehlt die GPS-gestützte Audioführung. Ursprünglich für blinde Besucher gedacht, inzwischen aber auch für sehende Gäste weiterentwickelt, bekommen Interessierte anschauliche Erklärungen. Quasi ein Reisehandbuch im MP3-Format mit Fußgänger-Satelliten-Navigation. Für Just ist der Informationspfad Naturerlebnisraum eine schöne Abwechslung: "Man läuft durch die Natur der Hallig und erfährt nebenbei sehr viel über die Kultur."

Zum traditionellen Programm zählt ein Besuch im Königspesel auf der Hanswarft. Gezeigt wird ein schöner Pesel, die gute Stube des Hauses, in dem Dänenkönig Friedrich VI. im Jahr 1825 eine Nacht verbrachte. Einen Überblick über die Natur bietet das Wattenmeerhaus mit der Schutzstation Wattenmeer. Auf der Hanswarft gibt es auch ein vom früheren Postschiffer Hans von Holdt gegründetes Heimatmuseum. Mehrere Badestellen wie am alten Anleger, am Landsende bei der Ockenswarft oder bei der Volkertswarft laden zu Schwimmen ein. An der Westerwarft hat sich ein kleiner Strand aus zerriebenen Muschelschalen gebildet, der bei Hochwasser allerdings überflutet wird.

Hooge hat bei aller Idylle auch viele Sorgen. Die Halligschule zählt nur noch vier Kinder. Viele Hooger sind alt, für junge Familien gibt es weder Arbeit noch Perspektive. Hooge hat die höchste Pro-Kopf-Verschuldung aller Gemeinden Schleswig-Holsteins, und die Bewohner machen sich Sorgen um die Verkehrsverbindungen. Zwar fährt sieben Monate im Jahr zweimal täglich die Fähre nach Schlüttsiel. Aber die regelmäßige Busverbindung von dort in die Kreisstadt Husum ist Vergangenheit. "Ohne gute Verkehrsverbindungen sind alle anderen Anstrengungen umsonst", sagt Just. Der Geschäftsführer der Wyker Dampfschiffs-Reederei, Axel Meynköhn widerspricht: Die Halligen seien besser dran als manche ostfriesische Insel. Die Reederei fahre nach einem seit Jahren akzeptierten Fahrplan.

Hooges Bürgermeister Matthias Piepgras freut sich auch über kleine Erfolge. So ist das Projekt "Hand gegen Koje" ein Renner. Menschen mit allen möglichen Fähigkeiten kommen, arbeiten halbtags unentgeltlich und wohnen dafür kostenlos. Es waren Architekten, Handwerker und eine Sekretärin da. Vielleicht ist auch mal ein Unternehmensberater dabei. "Keine schlechte Idee", meint Jacobsen.