Die größte der Ostfriesischen Inseln hat in jeder Jahreszeit etwas zu bieten: Robben und Seehunde aalen sich am Meer, die Teestunde ist heilig - und auf Etikette wird kein Wert gelegt.

Eeemol Moin langt!" Gregor Ulsamer lacht hell auf und wechselt nahtlos ins Hochdeutsche. "Nur Auswärtige sagen 'Moin Moin!'" Der Vorsitzende des hiesigen Heimatvereins hat uns ins "Borkumer Teestübchen" am Bahnhofspfad gebeten. Und hier geben wir uns dem größten Vergnügen der Insulaner hin - dem Teetrinken. Bevor wir das goldbraune Friesengebräu genießen dürfen, weist der drahtige Mann uns ins Ritual der Teezeremonie ein: Zunächst die Kluntjes - Kandis - in die Tasse geben, den Tee darüber gießen und mit einem kleinen Löffel die Sahne darauf tupfen. "Aber links herum, gegen den Uhrzeigersinn. Damit hält man die Zeit an. Die Teestunde ist uns heilig."

Die Borkumer sind ein stolzes Völkchen. Die Insel ist die westlichste und mit 30,7 Quadratkilometern Fläche die größte der ostfriesischen Inseln und zudem der "schönste Sandhaufen der Welt". Wir wandern den kilometerlangen Sandstrand entlang, lassen uns den frischen Seewind um die Nase wehen und die nackten Füße von den heranrollenden Wellen benetzen. Vor dem zierlichen Pavillon unterhalb der Promenade legen wir eine Pause ein und betrachten die blendend weißen Hotelfassaden aus der Gründerzeit. Das "Strandhotel Hohenzollern" ist sowohl innen als auch außen eine Augenweide. Da schmerzen Bausünden der Moderne wie die Nordseeklinik in unmittelbarer Nähe umso mehr. Der hässliche, klobige Zweckbau heißt im Volksmund "Hustenburg", weil hier Erkrankungen der Atemwege behandelt werden. "Und auch, weil man bei diesem Anblick einen Hustenanfall bekommt", ergänzt der waschechte "Börkumer" Ulli Elter von der Nordsee GmbH. "Guckt mal lieber in Richtung Meer", rät er. Hunderte von Seehunden und Kegelrobben liegen dort ordentlich in Reih und Glied.

In diesem Jahr hat der Frühling zeitig Einkehr gehalten und eine einzige Blumen- und Blütenpracht hervorgezaubert. Osterglocken wiegen ihre Köpfe in der leichten Brise, und an den Bäumen öffnen sich die ersten Knospen. "Unsere Vorfahren würden staunen über das viele Grün", sagt Gregor Ulsamer. Früher einmal war die Insel ganz kahl - abgesehen von Krüppelkiefern und Strandhafer. Praktisch wie die Borkumer von jeher waren, setzten sie die Kinnladen der von ihnen erlegten Wale als Wind- und Sandschutz vor ihre kleinen Gärten. Wie verwitterte Monolithen erheben sie sich, inzwischen denkmalgeschützt, an der Wilhelm-Bakker-Straße. Der Walfang bescherte der Insel im 18. Jahrhundert großen Wohlstand. Und diese Tradition lebt auch heute noch in den Köpfen mancher Insulaner fort. Das zeigt auch ein Besuch im Heimatmuseum Dykhaus, in dem neben alten Gerätschaften und einer "Kiekkamer" - einer für das 19. Jahrhundert typischen Wohnstube - das 15 Meter lange Skelett eines Pottwals, der 1998 an der Küste Schleswig Holsteins strandete, zu besichtigen ist.

Wir schlendern abseits des Touristenstromes durch verwinkelte Gassen. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Herrschaftliche Villen im viktorianischen Stil lugen hinter Hecken und Rosenbüschen hervor. Von filigraner Eleganz ist die evangelisch-reformierte Kirche - ihr Innenraum wirkt ergreifend schlicht. Das Modell eines Walfängerschiffes neben der Kanzel bildet den einzigen Zierat. Nachdem wir die 150 Stufen des Alten Leuchtturms erklommen haben, sind wir ganz schön aus der Puste. Doch der Blick aus der Vogelperspektive über rote Dächer, Dünen und den unendlichen Strand entschädigt dafür.

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Was wäre Borkum ohne seine Inselbahn, die gemächlich vom Hafen zu den Quartieren rund um den Bahnhof und wieder zurück zum Fähranleger rattert! Helmut Sievers, Betriebsleiter der Borkumer Kleinbahn, freut sich, dass die Einheimischen allen Modernisierungsversuchen eine Absage erteilt und die alten Gleise dort gelassen haben, "wo sie hingehören". Die alten Waggons aus der Kaiserzeit - die Bahn wurde 1888 in Dienst gestellt - stehen heute im Depot und werden nur zu besonderen Anlässen eingesetzt, ebenso wie die alte Dampflok. Die neuen Züge sind originalgetreu nachgebaut, erstrahlen in Grün und Rot und sind auch bei schlechtem Wetter ein erfreulicher Farbtupfer. Apropos schlechtes Wetter: Davon kann auf Borkum natürlich nie die Rede sein, sondern lediglich von falscher Kleidung. Heute ist es etwas stürmisch, und so haben wir uns in unseren Friesennerz gehüllt, den Südwester tief in die Stirn gedrückt und sind zum Ostland aufgebrochen. Hier gibt es noch schmucke Bauerngehöfte und behagliche Lokale mit breiten Terrassen, auf denen zum Nachmittagstee die verführerische "rumreiche" Ostfriesentorte angeboten wird. Ein sanft ansteigender Wanderweg führt um die Sternklippendünen herum bis zum Nordstrand. Südlich davon erstrecken sich weite Strandflächen, die selbst im Sommer nie überlaufen sind.

"Nee, mit Norderney wullt wi nix to daun hebbn", grummelt Jan, ein Alteingesessener. Wir treffen ihn bei Seezunge und Jever in der "Kleinen Möwe", einer urgemütlichen Gaststätte mit erstklassiger Küche. Die Bewohner der "Kaiserinsel" haben immer die Nase hoch getragen und Borkum als wenig vornehm abgetan. "Ein Zeitungsschreiber hat Borkum Mitte des 19. Jahrhunderts als ideales und preiswertes Ferienziel angepriesen", sagt Jan. Man lebe hier für wenig Geld, frei von Etikette und völlig ungeniert. Genau das schätzen die Urlauber auch heute noch an Borkum. Und dann setzt Jan noch eins drauf: "Die Römer sind im 1. Jahrhundert auf Borkum gelandet und haben Norderney links liegen lassen." Die Legionäre des Tiberius statteten "Burcana" in der Tat einen Besuch ab, bevor sie zur Eroberung Britanniens ansetzten. "Dort lebt ein beklagenswert armes Volk", berichtete Geschichtsschreiber Plinius d.Ä. nach Rom. Und die undankbaren, ihre Freiheit über alles liebenden Friesen wagten es sogar, sich den Zivilisationsversuchen des Imperium Romanum zu widersetzen.

Wer eine Woche auf Borkum Urlaub macht, kann sich fast jeden Tag an einem anderen Strand aalen. Darüber, welcher der schönste ist, gehen die Meinungen auseinander. Wir entschieden uns für den schlickfreien Südstrand, an dessen nördlichem Ende das "Nordseeaquarium" liegt. Hier ist die Fauna und Flora der Nordsee in 26 kleinen Becken eingefangen. Interessieren Sie sich für Ornithologie? Dann ist eine Exkursion zur nahe gelegenen Insel Memmat genau das Richtige. Dort brüten seltene Vögel. "Borkum ist eine Insel für alle Jahreszeiten", sagt Pia Steinort, die Leiterin des Wellnessdecks im "Gezeitenland."

Wenn ein ordentlicher Sturm über die Insel fegt, ist man in dieser weitläufigen Bade- und Erlebniswelt bestens aufgehoben. Während ein Wellenbad heute schon zur Grundausstattung eines Seebades gehört, gilt die hiesige Indoor-Surfanlage als echte Sensation. Am besten gefällt den meisten der Saunabereich mit Blick auf das Meer. "Der weite Horizont macht süchtig", gesteht ein Besucher. "Hier verliert man das Gefühl für Raum und Zeit."