Eine ungewöhnliche Bustour führt Touristen in düstere Stadtteile von Los Angeles. Nicht überall darf man aussteigen

Langsam rollt der Bus durch Straßen, die jeder lieber meidet. Der Ausblick ist düster. Zerschlagene Fensterscheiben, bröckelnde Häuserfronten, herumlungernde Männer mit finsteren Mienen, brennenden Wellblechtonnen. Willkommen im Getto von Los Angeles, Zentrum der Bandenkriminalität und größtem Umschlagplatz von Waffen und Drogen in den USA.

"An dieser Stelle fand das legendäre Gefecht zwischen den Crips und den Bloods statt", krächzt es aus dem Buslautsprecher. "Zwölf Gangmitglieder fanden 1992 hier im Kugelhagel den Tod." Einige Touristen machen sich Notizen. Andere zücken die Kamera. "Keine Fotos, bitte", mahnt Alfred Lomas, der Reiseführer. "Einige Leute in dieser Gegend finden es nicht so cool, dass Touristen mit Blitzlicht durch die Straßen gondeln."

Alfred Lomas muss es wissen. Er stand lange genug auf der anderen Seite: Drogen, Waffen, Bandenkämpfe. "Dass ich heute hier bin, verdanke ich einem Schutzengel", sagt er mit einem Lächeln und zeigt zwei Narben auf seiner Brust. Spuren einer Messerattacke in einem Hinterhalt.

Der Ausflug in den Untergrund von Tinseltown, dem Unterbauch von Los Angeles, ist die ungewöhnlichste Touristenattraktion in Kalifornien. Und nicht ganz ungefährlich. An vielen Ausflugszielen von LA Gang Tours wimmelt es noch von Gangstern, darunter gesuchte Mörder. 65 Dollar kostet die dreistündige Fahrt durch die düstersten Ecken von Los Angeles, die mittlerweile jeden Sonnabend angeboten wird. Das Central Jail, das Zentralgefängnis, wird genauso angesteuert wie das Florence-Firestone-Viertel, die Geburtsstätte der legendären Crips-Gang und heute Territorium von "Florencia 13", einer der gefährlichsten Latino-Gangs im Lande. Eine Ecke von Los Angeles, so Polizeidetektiv Victor Hernandez, "die auch von mir und meinen Kollegen meist nur in kugelsicherer West inspiziert wird".

Ohne kugelsichere Weste, aber mit Staunen im Gesicht hat Doug Menzmer die Tour angetreten. "Faszinierend, die andere Seite von Hollywood kennenzulernen", sagt der 36-jährige Architekt aus Denver. Amy Bisson kommt aus Santa Monica, einem der sicheren Stadtteile von L. A. "Ich war neugierig, weil ich diesen Teil meiner Stadt so noch nie gesehen habe", erklärt sie.

Alfred Lomas, 45, glaubt, mit LA Gang Tours in eine Marktlücke gestoßen zu sein. "Das Interesse ist enorm. Wir erhalten Buchungen aus der ganzen Welt", so Lomas, der sich vor fünf Jahren aus dem aktiven Banditenleben verabschiedet hat und sich heute als Gemeinde-Aktivist beschreibt. Dass der Job nicht ungefährlich ist, hat er unlängst auf dramatische Weise erfahren, als sein Freund Ronald Barron, 40, erschossen wurde. Auch Barron hatte das Leben als Bandenmitglied satt gehabt und arbeitete seit einigen Monaten als Sozialarbeiter in Brennpunkt-Stadtteilen. Als er einen "Tagger" - das sind Graffiti-Sprüher, die das Territorium ihrer Gang markieren - stellen wollte, zog der eine Waffe und erschoss Barron. "Einfach so, eiskalt", erzählt Lomas. Mit solchen Geschichten will er keine Angst einjagen, sondern zeigen, "dass Los Angeles nicht nur aus Beverly Hills und Santa Monica besteht. Wir haben echte Probleme. Und die sind nur wenige Kilometer vom Rodeo Drive entfernt."

High-School-Lehrerin Pricsa Ricks war zwiegespalten. "Ich habe kritische Kommentare im Internet über die Tour gelesen, die da als ,Ghettotainment' bezeichnet wurde. Aber der Fokus liegt nicht auf Gewalt, sondern auf den Gemeinden, in denen die Gewalt stattfindet. Das bringt Aufmerksamkeit und kann helfen", glaubt Ricks.

Die meiste Zeit müssen die Tourgäste im Bus bleiben. Der hält unter anderem an jener Straßenkreuzung, an der 1992 die blutigsten Unruhen ausbrachen, die die Stadt je erlebt hatte. Ausgelöst durch den Freispruch von vier Polizisten, die den Schwarzen Rodney King nach einem Verkehrsdelikt und einer Verfolgungsjagd brutal attackiert hatten. Die Bilanz tagelanger Gewaltexzesse: 53 Tote und eine Milliarde Dollar Sachschaden.

Letzter Halt: das Pico Union Graffiti Lab. Hier dürfen Graffiti-Künstler sich legal an Hauswänden verewigen. "Auch hier", so Lomas, "kommt es immer wieder zu Bandenkämpfen, weil Graffiti eine territoriale Handschrift sind." An diesem Tag ist alles friedlich. Die Touristen steigen aus, machen Fotos. Fast surreal, wie sich die Dame aus Ohio mit dem vermummten Tagger vor einer bemalten Wand aufbaut. Das nimmt der Bandenrivalität für einen Moment die traurige Ernsthaftigkeit.

Mehr Infos: www.lagangtours.com