Das Thema ist allgegenwärtig, der Umgang damit unterschiedlich. Tourismus wird überlebensnotwendig, der Zusammenhalt auch

Spiros lenkt sein tuckerndes Fischerboot in den Hafen von Rethimnon. Er hat ein paar Barsche, Garnelen und Rotbarben gefangen. Am Kai wartet bereits Maria, die ihm die Ware abkauft. Die 40-jährige Griechin betreibt eine kleine Taverne, das "Knossos", das unscheinbar zwischen den großen Restaurants liegt. Erste Touristen genießen ihren Wein und fragen nach frischem Fisch. Die Sonne scheint vom blauen Himmel.

Ich bin auf Kreta, im schönsten Ferienort der Insel. Ist Urlaub in Griechenland so unbeschwert wie in den vergangenen Jahren? Oder doch ein wenig problematischer? Wie reist es sich mit der Krise? Maria lächelt. "Beim Essen gibt es keine Krise", sagt sie leise. Und wie beschwörend fügt sie hinzu: "Die Gäste dürfen von unseren Problemen nichts spüren. Sie sollen sich bei uns wohlfühlen."

Trotz aller Gastfreundschaft - das Wort "Krise" ist allgegenwärtig. "Sie begleitet uns auf Schritt und Tritt", berichtet Sven Brauch. Der 42-Jährige und seine Lebensgefährtin Angelika aus Wilhelmshaven machen zwölf Tage Urlaub auf der Insel. Für Flug und Hotel mit Halbpension haben sie 490 Euro pro Person bezahlt. Sie sitzen im "Knossos" und berichten von einem Erlebnis, das sie überrascht hat: "Heute kauften wir ein T-Shirt für acht Euro. Als wir den Laden verließen, lief die Verkäuferin hinter uns her und wedelte mit der Quittung.

Wir brauchen sie nicht, sagten wir ihr. Doch, rief sie aufgeregt. Wenn wir sie nicht mitnähmen, bekäme sie mit dem Finanzamt Probleme."

30 Kilometer weiter, im Landesinneren, zeigen die Kreter mehr Gelassenheit. In Spili, einem Dorf mit 600 Einwohnern, sitzen vor einem Kafenio fünf alte Männer und spielen Karten. "Spielen Sie um Geld?", frage ich. Sie verstehen nicht. "Um Euro?", setze ich nach und zeige Ihnen ein paar Münzen. Sie kapieren, lachen und überschütten mich mit einem Redeschwall. "Nein, sie zocken nicht. Das ist ihnen zu riskant", übersetzt die Wirtin.

Was halten sie von der Krise? "Wir werden bluten müssen", sagt einer und stampft wütend mit seinem Stock. "Aber hier im Dorf wird niemand verhungern. Wir helfen uns selbst. Und wenn die Touristen weiter kommen, wird alles gut."

In Spili scheint die Welt noch in Ordnung. In der Dorf-Taverne sitzen Touristen und essen Souvlaki, einen Spieß mit Schweinefleisch. Er ist günstig: 5,50 Euro. Auch das Moussaka, ein Auberginenauflauf, kostet nur 6 Euro. Für eine Nacht im Doppelzimmer berechnet das "Green Hotel" 30 Euro. "Und für fünf Euro gibt es ein Frühstück, von dem zwei Personen satt werden", sagt Dorina, die den Service schmeißt. Im Laden gegenüber verkauft Stefano Pagona Käse, Wein, Oliven, Gewürze und Raki. "Alles Produkte unserer Insel", erklärt er. Urlauber kaufen, zahlen und bekommen eine Quittung.

"Wir haben immer korrekt abgerechnet und unsere Steuern bezahlt. Leider müssen wir künftig noch mehr ans Finanzamt überweisen." Und seine Mutter versichert in gebrochenem Deutsch: "Keine Probleme. Wir leben und haben gutes Wasser." Sie meint den venezianischen Brunnen im Dorf. Wer sich mit dem Wasser wäscht, soll 100 Jahre alt werden, heißt es.

"Wir sind mit dem Zelt unterwegs", berichten Steffen Clauß und Birgit Labrenz aus Schwerin. "Quittungen, nein, die haben wir noch nie bekommen. Auch jetzt nicht. Überall im Landesinneren haben wir neben den Registrierkassen Taschenrechner gesehen." Also wird weiter am Staat vorbei kassiert.

Ansonsten präsentiert sich Kreta auch in diesem Mai wie eine Urlaubsinsel aus dem Bilderbuch: Schön und wild, wunderschöne Buchten, Sandstrände mit Karibik-Flair. Gebirgszüge bis zu 2400 Meter hoch, amtenberaubende Schluchten, Samaria, die größte von ihnen, 18 Kilometer lang. Hier soll Zeus geboren sein. Hier stand die Wiege Europas. Überall gibt es Zeugen der Vergangenheit.

Etwa 2,5 Millionen Touristen kommen pro Jahr an die Nordküste. Ihnen stehen mehr als 200 000 Hotel- und Privatzimmer zur Verfügung. Wie Perlen an einer Schnur sind die Urlaubszentren aufgereiht: das exotische Chaniá mit seiner 350 Jahren alten Moschee, das romantische Rethimnon, das noch am besten die Krise zu überstehen scheint, die chaotische Hauptstadt Heraklion, Cherrsonissos, einst bunt und turbulent, heute leider nur ein Schatten seiner Vergangenheit mit leeren Restaurants und ausgestorbenen Hotels, und dann im Osten das Musterstädtchen Agios Nikolaos sowie Elounda mit seinen Luxus-Häusern in der Güteklasse von sechs Sternen. "Natürlich ist die Krise ein Problem für mich persönlich", gesteht Andie, die mich durch Kretas teuerstes Hotel "Elounda Beach" führt. "Aber nicht für unsere Gäste. Luxus übersteht jede Krise." 1000 Euro zahlt der Urlauber pro Nacht für die Suite mit eigenem Pool, bis zu 7000 Euro blättert der Tourist für die Villa auf dem Hotelgelände mit eigenem Bootsanleger hin.

Auch wenn die Zahl der Nobelhotels wächst, Kreta setzt weiter auf die Pauschaltouristen. "Ohne sie könnten wir nicht leben", sagt Manole. Der 35-jährige Kreter steht vor seinem Café "thethope" in der Inselhauptstadt Heraklion und bittet mit einladenden Gesten die vorbeiziehenden Touristen, Platz zu nehmen. Das Geschäft sei härter geworden, stöhnt er. "Wir kämpfen um unsere Existenz. Früher machten von 100 Urlaubern 20 bei mir eine Kaffeepause. Heute sind es zwei." Im "Central Park", dem angesagtesten Café der Stadt, sind fast alle Tische besetzt. Viele junge Griechen machen hier Mittagspause. Aus einer Seitengasse kommt eine alte Frau, steuert auf das Lokal zu und geht langsam von Tisch zu Tisch. Sie streckt ihre Hand aus und bittet um Geld. Mit Erfolg. Jeder gibt ihr etwas. Ein paar Cent, manchmal einen Euro.

"Das überrascht Sie jetzt", sagt mein Tischnachbar lächelnd zu mir. "Die alte Frau ist ein Opfer der aktuellen Situation. Sie wird kein Einkommen haben, keine Rente, keine Hilfe vom Staat. Das sieht hier jeder, und wir lassen niemanden verhungern." Themitstdeles Kandylakin spricht deutsch. Er ist in Aschaffenburg geboren und lebt mit seiner Familie seit 1997 in Heraklion. Er hat Maschinenbau studiert, ist aber arbeitslos. Im Winter hat er Sprachunterricht gegeben, Oliven und Holz gesammelt und sich so über Wasser gehalten. Jetzt wurde ihm ein Job am Flughafen in Aussicht gestellt. "Die Saison beginnt. Wir hoffen auf viele Urlauber, vor allem aus Deutschland."

In der Marktgasse Odos 1866, Heraklions berühmtester Einkaufsstraße, gibt es alles: Schafskäse, Lederwaren, Souvenirs, Gemüse und Obst. Die Preise sind hoch: Eine Apfelsine kostet einen Euro, ein Kilo Pflaumen fünf, Weintrauben vier Euro. "Wenn die Steuer steigt, klettern die Preise weiter", sagt Alexandros, der gerade an seinem Stand Erdbeeren einpackt. Er kassiert drei Euro und lässt das Geld in seiner Tasche verschwinden.

"Sie wollen einfach keine Steuer zahlen", bestätigt auch der Hamburger Rentner Ekkehard Lange. Er war im Südwesten der Insel auf Wandertour. "Dort ist es wie immer. Getränke und Wasser nur gegen Bares. Statt einer Quittung ein Lächeln, und die Kreditkarte stößt auf Ablehnung." Der hochgewachsene Mann hat sich zum Abschluss seiner Wanderung ein paar Tage im "Sensimar Royal Blue Ressort und Spa" an der Küste in Panorma bei Rethimnon gegönnt. Hier in der Fünf-Sterne-Herberge ist das Wort Krise tabu.

Zurück zur Küstenstraße. Das Dörfchen Adele, zwei Kilometer vom Meer entfernt, liegt im Vorgebirge des Ida-Massivs, Kretas höchstem Gebirgszug. Hier gedeihen Pfirsiche, Granatäpfel, Quitten, Orangen, Zitronen. Und hier liegt die Agreco-Farm, ein Bauernhof, der nach ökologischen Gesichtspunkten produziert. Wie vor hundert Jahren wird Käse hergestellt, Honig gewonnen, Brot gebacken. Simone Konsolaki, eine Mainzerin, die seit 15 Jahren auf Kreta lebt, berichtet von der Idee, die ländlichen Regionen durch ökologische Landwirtschaft anzukurbeln und durch sanften Tourismus. Der Trend soll Urlauber neu für Griechenland begeistern. Und helfen, die Krise zu überwinden.