Mehr als 1100 Mühlen gibt es in den Niederlanden, einige werden neuerdings als Ferienhäuser vermietet. In nur zehn von ihnen tut der Mühlstein noch seinen Dienst - und mahlt das Getreide.

Diesen Nachmittag versucht der Wind es wieder, fährt plötzlich durch die Äste der Bäume der Umgebung, lässt seine Böen wild um die alte Mühle auf dem Hügel am Ortsrand fauchen. Er drückt gegen die kleinen Fensterscheiben, schmirgelt über den Backstein des alles in allem gut 25 Meter hohen Gebäudes - und rüttelt an den gewaltigen Flügeln. Es ruckt ein bisschen. Und es knarzt gewaltig im obersten Stockwerk der Mühle, wo sich eines der sechs Schlafzimmer befindet. Dicke Fußbodenbalken aus Eichenholz quietschen, als johlte das ganze Gebäude: "Hurra, es geht endlich wieder los!" Als fühlte sich der robuste Bau an alte Zeiten erinnert, ans Arbeitsleben von einst, an viele Stürme - und darf diesmal doch nicht mitmischen.

Das Räderwerk in der Kuppel der alten Windmühle "De Verrekijker" von Bergharen in der niederländischen Provinz Gelderland ist vollständig intakt, doch die Flügel sind mit einer schweren Eisenkette und so etwas wie einem Anker am Erdboden fixiert. Sie rucken im Wind so nur ein paar Zentimeter. De Verrekijker, "der Weitgucker" knapp hinter der Grenze zu Nordrhein-Westfalen, ist in Rente und scheint es doch nicht ganz wahrhaben zu wollen. Einen Mühlstein im Inneren gibt es nicht mehr, stattdessen eine riesige Wohn-Diele mit Küchenzeile, großem Esstisch und Lese-Ecke mit Musikanlage im grasbewachsenen Sockel des Mühlenbaus, weiter oben im eigentlichen Erdgeschoss ein modern eingerichtetes Wohnzimmer mit Tür zum Garten, darüber zwei Etagen mit Schlafzimmern. 220 Quadratmeter Wohnfläche verteilen sich auf fünf Etagen.

Das restaurierte und im Inneren völlig entkernte Gebäude ist eine von etwa elfhundert in ganz Holland erhaltenen Windmühlen. Zu ihren Glanzzeiten waren es mehr als 10 000. Was diese so besonders macht: Sie wird inzwischen als Ferienhaus vermietet. Winifred Broeder aus Rotterdam hat "De Verrekijker" vor ein paar Jahren gekauft und gemeinsam mit Mann, den fünf Kindern und ein paar fachkundigen Helfern restauriert. Ihr Lieblingsplatz? "Das Bett ganz oben im höchstgelegenen Schlafzimmer: weil man dem weiten Himmel und den Vogelstimmen am nächsten ist" - und dem knarzenden Räderwerk, der speziellen Mühlen-Romantik. Holländischer jedenfalls geht es nicht: in der Windmühle wohnen, um das Lebensgefühl der Niederlande zu spüren, den Wind, die Geschichte. Und um zwischendurch ganz nebenbei unten am Herd typische Pannekoek mit Puderzucker und Sirup zu backen.

Winifred Broeder lacht, fährt sich mit der rechten Hand durch die Locken und öffnet die Luke zum Räderwerk in der Kuppel. Fast liebevoll streicht sie über die Originalteile einer älteren Mühle aus dem 17. Jahrhundert, die hier verbaut sind. Verrekijker selber bringt es erst auf knapp über hundert Jahre. "Manchmal", erzählt sie, "binde ich die Flügel los, setze mich draußen in den Gartenstuhl und schaue ihnen einfach beim Drehen zu. Das ist ungeheuer entspannend." Und weil die Flügel bei durchschnittlich vierzig Stundenkilometern kaum hörbar nur mit einem leichten Surren rotieren, muss sie jedes Mal aufpassen, dass nicht überraschend Besuch kommt und in Reichweite des Propellers gerät: "Ein paarmal ist das fast passiert. Weil Leute irgendwie denken, in Holland ist bestimmt jede Mühle öffentlich. Sie laufen dann einfach in den Garten, machen Fotos - und nehmen vor lauter Begeisterung gar nicht wahr, dass sich die Flügel drehen." Einmal seien sogar Fremde wie selbstverständlich in die Diele getreten, während sie mit der ganzen Familie beim Essen saß. Die Leute haben sich dazugesetzt und dachten, die Broeders betrieben ein Restaurant - vielleicht weil es inzwischen die kuriosesten Nutzungen entkernter Mühlen gibt und die des Wohn- oder Ferienhauses eher die Ausnahme ist. In einer Mühle im Nachbardorf ist eine Tierfutterhandlung untergebracht, eine andere ist tatsächlich Restaurant, in wieder einer anderen werden Klaviere verkauft. Winifred Broeder hat ihres dort erstanden. Es steht heute in der Mühlen-Diele in Bergharen - und müsste mal wieder gestimmt werden.

Nur zehn Windmühlen im ganzen Land werden noch tatsächlich zum Mahlen von Getreide genutzt - wie die von Jan Willem Bökkers im nur eine viertel Autostunde entfernten Wijchen. "Wir sind Müller in achter Generation", erzählt der freundliche Hüne und klopft sich das Mehl von den Händen: "Eine betreibe ich, eine mein Onkel, eine ein Neffe. Außer uns gibt es noch sieben andere Verrückte." Seine Mühle spielt derweil das Lied, das De Verrekijker auch mal gesungen hat. Die Flügel sind mit Stoff bespannt, und ein bisschen klingt es im Wind jetzt, als würde jemand auf einem Kamm blasen oder etwas unsicher Mundharmonika spielen. Die Melodien, die die eigenen Ohren hineinhören, wechseln mit der Windstärke.

"Manchmal", sagt Müller Bökkers, "versteckt sich der Wind. Dann spürt man ihn kaum. Aber die Flügel drehen sich doch. Sie tun es zügig, und das Tempo reicht locker aus, um den Mühlstein damit zu betreiben." Im Sockelgeschoss hat Bökkers einen Laden eingerichtet und sich ein wenig am Trend der Zeit orientiert. Sein Mehl verkauft er in knallgelb designten Papierverpackungen, hat es sortiert nach Backmischungen - für Brote, Kekse, Pizzateig. Und für Pannekoek. Gleichzeitig beliefert er Bäckereien und Geschäfte der Umgebung. Und wenn gerade nicht allzu viel zu tun ist, plaudert er gerne über sein Gewerbe, lieber noch über seine Mühle - und zeigt, was in ihr steckt. Oder er hängt sich ans Telefon, um Peter Coppes zu erreichen, weil irgendwo irgendetwas hakt und sich dringend mal ein Fachmann das Problem anschauen sollte.

Coppes, Anfang vierzig, ist einer der letzten Mühlenkonstrukteure Hollands - und gut beschäftigt. Gut hundert Mühlen bis hinüber nach Deutschland hat er unter Wartungsvertrag und betreut ihre Wehwehchen gemeinsam mit seinem Bruder und einem Gesellen. Wird die Sache sehr verzwickt, kann er seinen 70-jährigen Vater hinzuziehen. Der war sein Leben lang Windmühlenbauer und spürt die Probleme fast durch Handauflegen. Jedes Bau-, jedes Ersatzteil entsteht noch heute aus Holz und in Hand-Maßarbeit in der Werkstatt von Familie Coppes in Bergharen. Und im Moment ist besonders viel zu tun: weil Mühlen in Holland nicht nur Kulturdenkmäler sind, sondern zusehends wieder in Mode kommen. Zwei neue baut Peter Coppes gerade nach Zeichnungen des Architekten Paul Groen, jede zwischen 500 000 und 600 000 Euro teuer. Selber übernachtet hat er noch nie in einer: "Keine Zeit, leider", sagt er, obwohl er auch Winifred Broeders Verrekijker betreut und bei sechs Schlafzimmern sicher auch mal eines für Coppes frei wäre. "Wie klingt es dort denn nachts?", will er wissen. Das hängt ganz vom Wind ab. Es knirscht, es knackt, es ist auch mal mucksmäuschenstill - kommt darauf an, ob die Natur gerade singen, auf dem Kamm blasen oder sogar Mundharmonika spielen will.