Bedrohung und Quelle der Fruchtbarkeit zugleich: Dieser Vulkan ist einer der berühmtesten der Welt. Was kaum einer weiß: Der im Innern brodelnde Berg kann auch bequem auf einer Unimog-Tour bezwungen werden. Bei gutem Wetter wartet oben ein toller Blick auf den Golf von Neapel.

Rauchschwaden wabern durch die Luft. Hie und da lodern Flammen auf. Grollende Geräusche durchziehen die Stille. Am Vesuv braut sich was zusammen: Ein gutes Dutzend Brautpaare feiert in Boscotrecase, einer Kleinstadt am Fuße des berühmten Vulkans.

Links und rechts der Straße, die den Vesuv hinauf führt, befindet sich eine Reihe eleganter Hotels. An den Wochenenden herrscht hier Hochbetrieb. Die Locations unterhalb des berühmt-berüchtigten Kraters sind bei Hochzeitsgesellschaften heiß begehrt. In den akkurat gepflegten Parks stehen riesige Musikboxen, aus denen Bässe grollen. Aus den Gartenfackeln züngeln Flammen. Für Katastrophenphobiker derzeit also kein Grund zur Beunruhigung.

Immerhin: Der Vesuv ist der einzige aktive Vulkan auf dem europäischen Festland. Und er gilt als einer der gefährlichsten überhaupt. Experten sind sich uneins, ob der Hausberg Neapels und Zerstörer Pompejis nicht sogar der bedrohlichste weltweit ist. Ein Ausbruch kann jederzeit wieder stattfinden. Im Schatten des Vulkans leben Hunderttausende Menschen.

Viele in illegal errichteten Häusern, in Italien "illegaler Zement" genannt. Der Vesuv steht in Kampanien. In der Heimat der Camorra waren Baugesuche oft kein Bürokratie- sondern ein Finanzakt. Stichwort Baukorruption.

Mit einem olivgrünen Offroad-Fahrzeug geht es ab Boscotrecase zwei, drei Kilometer durch Obst- und Weingärten. In wenigen Minuten erreicht das Fahrzeug den Nationalpark Vesuv. Die kultivierten Flächen werden von Wäldern abgelöst. Ein einzigartiger Bewuchs, der seinesgleichen sucht. Auf den fruchtbaren Hinterlassenschaften vergangener Vesuvausbrüche - Abermillionen Kubikmeter von Asche, Magma und Lava - gedeihen Pflanzenarten, die im Mittelmeerraum sonst nicht anzutreffen sind.

Emma hat dafür keinen Sinn. Der Blick der kanadischen Touris-tin ist starr auf die Plastiktüte vor ihrem Mund gerichtet. Nicht jedem bekommt die beherzte Fahrweise des Unimog-Lenkers. Schwungvoll nimmt er die engen Kurven auf der holprigen Straße. Diese ist in einem angeschlagenen Zustand. Bei einem Erdbeben im Jahr 1980 wurde sie beschädigt und aus Kostengründen lediglich ausgebessert. Privat-Pkw dürfen sie derzeit nicht befahren.

Ethan, Emmas Verlobter, hält ihre Hand. Seine Aufmerksamkeit gilt aber weniger dem bleichen Gesicht Emmas als dem farbenprächtigen Panorama. In den Kurven bieten sich Ausblicke auf die Ebene östlich des Vesuvs, die schon in der Antike als Siedlungsgebiet begehrt war. Bei guter Sicht sind die archäologischen Stätten von Pompeji zu erspähen. Der Blick schweift weiter auf jene Landzunge, auf der Sorrent und dahinter die sagenhafte Amalfiküste liegen. "Wahnsinn, toll", entfährt es Ethan.

Kurz unterhalb des Gipfels stellt der Fahrer den Motor ab. Von hier aus sind es noch rund 20 Minuten Fußmarsch zum Kraterrand. Emma bleibt beim Wagen. Nicht nur, weil ihr übel ist, sondern auch weil sie das falsche Schuhwerk trägt: Badelatschen. Roberto, der Führer, winkt ab. "Besser nicht", sagt er.

Schnell wird klar, warum: Der Weg ist anfangs nicht nur steil, sondern auch mit rauen Bimssteinchen übersät. Die Füße sinken ein, das Laufen ist einigermaßen beschwerlich. Doch die Aussicht, in wenigen Minuten einem der berühmtesten Berge der Welt in den Schlund zu schauen, wirkt wie ein Magnet. Von einer kleinen Schutzhütte, der Capannuccia, die auf 1167 Meter Höhe liegt, ist es nur noch ein Katzensprung zum Krater. Noch ein paar Höhenmeter warten auf die Sohlen.

Der Wind pfeift ordentlich. Trotz des beherzten Fußmarsches beginnen einige zu frösteln. "Im Winter kann es hier oben auch schneien", erklärt Roberto. Im Moment steht den Teilnehmern der Sinn aber nicht nach Schnee, sondern nach Wärme - so lange sie nicht aus dem Schlund des Vesuvs emporschießt. "Keine Angst", sagt Roberto, "heute wird es nicht zum Ausbruch kommen." Die Einschätzung des erfahrenen Bergführers wirkt beruhigend aufs Unterbewusstsein.

Vorsichtig nähern sich die Besucher dem Krater. Nicht aus Sorge, im nächsten Moment von einem ausgespuckten Felsbrocken aus dem Vulkanschlot getroffen zu werden, sondern weil es im Inneren des Berges steil nach unten geht - bis zu 200 Meter tief. Ein Geländer hält allzu Wagemutige von unüberlegten Tritten ab. Nur an wenigen Stellen kann man auf den Grund des Kraters blicken. Ein infernalischer Anblick, der vom Wissen um das, was unter den grauen Felsen in etwa acht Kilometern Tiefe vor sich hinbrodelt, noch angefeuert wird: Magma. Dieser Gesteinsbrei wird bis zu 1250 Grad heiß.

Der Weg um den Krater führt direkt an zwei Betonsockeln vorbei. Es sind Überreste der legendären Seilbahn, die einst von Neapels Stadtrand hier hinaufführte. An den Wochenenden sorgte sie für Rummelstimmung auf dem Berg. Verewigt wurde diese Volksfestatmosphäre auf dem Vesuv in dem neapolitanischen Volkslied "Funicolì, funicolà" (die weltbekannte Melodie wurde in Deutschland für einen Fetenhit zweckentfremdet: "Marie, da liegt a toter Fisch im Wasser"). Das Erdbeben von 1980 zerstörte auch die Seilbahn. Sie wurde nie wieder aufgebaut.

Vermutlich der Hauptgrund, weshalb der Vesuv von seiner Anziehungskraft als Ausflugsziel für die Neapolitaner und die Touristen verloren hat. Obwohl er nicht einmal zehn Kilometer entfernt von Pompeji steht - mit über drei Millionen Besuchern 2008 eines der bestbesuchten Touristenziele Italiens -, findet nur ein kleiner Teil der Besucher zum Vesuv.

Zum Leidwesen von Adriano. Seit vielen Jahren verkauft er oben Postkarten. "Die Zeiten waren schon besser", sagt er. "Als die Seilbahn noch lief, kamen viele Leute aus Neapel." Hinter seiner Souvenirbude dämmert die süditalienische Metropole im Smog.

Sieben Tage die Woche steht er dort oben, den Krater stets im Blickfeld. Angst vor einem plötzlichen Ausbruch? Adriano vertraut seinem Bauch: "Ich fühle den Vesuv. Sollte was passieren, würde ich das schon beim Frühstück merken." Angst habe er noch nie gehabt, erzählt er. Hin und wieder beobachte er, wie Touristen zusammenzucken, wenn sich über dem Vesuv ein Gewitter zusammenbraut, wenn es blitzt und donnert. Adriano verzieht sein wettergegerbtes Gesicht und grinst: "Keine Angst, ich habe den Kerl im Auge."