Geesthacht/Marschacht. Beide Fischtreppen am Wehr Geesthacht sind seit fast einem Jahr nicht mehr funktionstüchtig. das gefährdet die Fortpflanzung von Wanderfischen.

„Wir brauchen eine kurzfristige Übergangslösung, damit uns nach dem Nachwuchsjahrgang 2019 nicht auch noch der Jahrgang 2020 verloren geht.“ Das sagt Heike Kramer von der NABU-Ortsgruppe Geesthacht stellvertretend für mehrere Naturschutzverbände und Politiker, die sich um die Fischwelt der Elbe sorgen: Seit August 2019 ist der Fluss am Stauwehr Geesthacht für wandernde Arten wie Meerforelle, Lachs und Stör kaum noch passierbar (das Abendblatt berichtete). Jetzt droht die Gefahr, dass die Fische auch bei der kommenden Wanderung Ende August/Anfang September nicht zu ihren Laichgebieten gelangen.

Strömungsrinnen waren unterspült

Anfang August 2019 entdeckten Bauwerksinspekteure, dass der Damm mit den Strömungsrinnen, die die Fische zum Einstieg in die große Fischtreppe am Nordufer der Elbe lockte, unterspült war. Da Gefahr im Verzug war, musste schnell gehandelt werden – das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) Lauenburg hat die Rinnen mit Beton verfüllt, um den Damm zu stabilisieren. Folge: Viele Fische finden die Aufstiegshilfe nicht mehr, die der Energiekonzern Vattenfall im Rahmen der wasserrechtlichen Genehmigung für das Kohlekraftwerk Moorburg errichten und seit 2010 betreiben muss – nach fünf Betriebsjahren meldete Vattenfall 2015, dass bereits 1,7 Millionen Fische von rund 50 Arten die gut 20 Millionen Euro teure Treppe in den Oberlauf hinaufgestiegen seien.

Die Fischtreppe von Vattenfall auf der Nordseite des Wehrs ist 550 Meter lang und besteht aus 49 einzelnen Becken.
Die Fischtreppe von Vattenfall auf der Nordseite des Wehrs ist 550 Meter lang und besteht aus 49 einzelnen Becken. © HA | Angelika Hillmer

Im September 2019 schloss sich auch noch zweite Schlupfloch am Wehr: Wegen einer schief gewordenen Spundwand musste die kleinere Fischtreppe am Südufer zugeschüttet werden. „Viele Kormorane und manche illegale Angler ließen uns vermuten, dass sich die Fische nun vor dem Wehr stauten“, sagt Kramer. „Gewissheit bekamen wir von Kollegen in Dessau, die Fische kontinuierlich erfassen. Sie sagten uns, dass es gerade bei den Langdistanz-Wanderfischen (Lachs und Meerforelle) kaum noch Nachweise seit 2019 gibt.“

Vattenfall will Originalzustand und keine Übergangslösung

Die Fischtreppe war für die ökologische Durchgängigkeit der Elbe eine echte Erfolgsgeschichte, das hat auch das mehrjährige Fisch-Monitoring gezeigt“, sagt Vattenfall-Sprecherin Sandra Kühberger. „Die Rinnen zur Verstärkung der Leit- und Lockströmung wurden durch Maßnahmen des WSA Lauenburg im Sommer 2019 beschädigt. Wir haben ein großes Interesse daran, dass sie vollständig wiederhergestellt werden. Aber mit Blick auf unsere wasserrechtliche Genehmigung sind wir darauf angewiesen, dass der Originalzustand wiederhergestellt wird. Wir brauchen eine nachweislich genehmigungskonforme Lösung, die wir aber bisher zusammen mit dem WSA nicht erreichen konnten. Wir sind aber weiter an einer konstruktiven Lösung interessiert und hatten dem WSA bereits entsprechende Vorschläge unterbreitet.“

Unterschiedliche Ansichten über Verantwortlichkeit

Offensichtlich sind beide Seiten unterschiedlicher Auffassung, wer für die Sanierung zuständig ist. „Vattenfall hat einen Nutzungsvertrag für den Überlaufdamm im Zusammenhang mit der Fischaufstiegshilfe. Dieser verpflichtet das Unternehmen, das Bauwerk zu unterhalten und dessen Verkehrssicherheit zu gewährleisten“, sagt Tilman Treber, Leiter des WSA Lauenburg. „Im August mussten wir in hoheitlicher Verantwortung sofort aktiv werden, um den Damm vor dem Winter zu stabilisieren. Doch jetzt ist Vattenfall in der Pflicht, die Anlage wieder herzustellen.“

Die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung habe dem Unternehmen eine Zwischenlösung angeboten, bei der das Wasser für eine Lockströmung durch eine Hebeeinrichtung und Rohre über den Damm hinweggeführt werde, sagt Treber. Diese Übergangslösung fordern die Naturschutzverbände, um den Fischstau am Stauwehr möglichst bald aufzulösen. Doch noch sind sich die Beteiligten nicht einig geworden.

50 Kilo Glasaale ausgesetzt

Um wenigstens den Aalen zu helfen, hatte das WSA Lauenburg Ende April 50 Kilogramm Glasaale an die Fischereiverbände von Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern verteilt, die die etwa sechs Zentimeter kleinen, 0,3 Gramm leichten Mini-Aale in ihre oberhalb des Wehrs gelegenen Gewässer aussetzten. Außerdem baut das WSA auf der niedersächsischen Seite gerade eine Aalleiter, bei der sich die Tiere auf Bürsten flussaufwärts schlängeln.

Denn die Fischtreppe am Südufer wird voraussichtlich noch mindestens zwei Jahre verschüttet bleiben, bis die Spundwand zur Wehr-Insel neu hergerichtet ist. Treber: „Derzeit laufen die Baugrunduntersuchungen und die Kampfmittelerkundung. Anschließend beginnen die Baumaßnahmen. Geplant ist, dass die Funktion der neuen Treppe durch eine zusätzliche Lockströmung verbessert wird.“

Runder Tisch soll Durchbruch bringen

Alle Beteiligten wollen die Fischbarriere möglichst bald auflösen. Ein runder Tisch auf höherer Ebene, an dem auch das Bundesverkehrsministerium teilnehmen wird, soll nun den Durchbruch bringen. Bestenfalls schon kommende Woche und rechtzeitig genug, um die Wanderfisch-Generation 2020 zu retten.