Winsen. Winsens Erster Hauptkommissar geht zum 1. Oktober in den Ruhestand. Der 61-Jährige hat einiges zu erzählen.

Es gibt Ereignisse, die vergisst man nie. Die Tage während des Elbehochwassers im Sommer 2002 als die Polizisten aus Lüneburg mit den Bewohnern im Amt Neuhaus bangen, ob die alten DDR-Deiche halten. Die Botschaften an Eltern, deren Kinder verunglückt sind oder auch die versuchte Entführung in Winsen, nahe der Luhe, als ein paar Halbstarke einer Frau eine Waffe an die Schläfe hielten. Damals hatte der junge Polizist Michael Zidorn seine Pistole schon gezogen. Abdrücken musste er schließlich nicht. Kein einziges Mal in 46 Dienstjahren. „Ich bin sehr froh, dass es nie dazu gekommen ist“, sagt der Erste Hauptkommissar und Leiter des Einsatz- und Streifendienstes beim Polizeikommissariat Winsen. Zum 1. Oktober geht der 61-Jährige in den Ruhestand.

Knapp 14 Jahre lang ist er für die 50 Kollegen in der Luhestadt rund um die Uhr verantwortlich gewesen. Die Winsener Polizisten sind die Ersten am Einsatzort, ob bei Unfällen, Streit in der Nachbarschaft, Einbrüchen, Drogendelikten oder wenn Menschen ums Leben kommen. In den vergangenen Jahren ist ein neues Thema dazugekommen: die Internetkriminalität. „Ein Viertel aller Anzeigen, die wir aufnehmen, betreffen inzwischen Straftaten, die im Internet begangen werden“, sagt Zidorn.

Mit 16 begann er seine Ausbildung an der Polizeischule

Neben solchen Einsätzen sehen die Winsener Polizisten aber auch bei den Festen in der Region nach dem Rechten. Allein 14-mal übernahm Zidorn die Einsatzleitung beim Stadtfest in Winsen, 2008 auch beim Tag der Niedersachsen. Die Zusammenarbeit mit Stadt, Amtsgericht, Landkreis und Feuerwehr hat ihn vor Ort zu einem Gesicht werden lassen, das fast jeder kennt.

Der gebürtige Lüneburger lernte seinen Beruf von der Pike auf. „Mein Vater, selbst Hauptkommissar, hat mich bei der Polizei angemeldet“, erzählt er. Zwei Tage nach seinem 16. Geburtstag sitzt er im Zug zur Polizeischule nach Hannoversch-Münden. Die Kleinstadt, in der Werra und Fulda zur Weser zusammenfließen, hat es ihm bis heute angetan. „Ich werde sie sicher noch häufiger besuchen“, sagt Zidorn, der seine Berufsentscheidung nie bereut hat. „Es ist eine sinnvolle Tätigkeit für das Gemeinwohl. Wir arbeiten im Team und mit den Bürgern zusammen“, sagt er.

Von seinen Dienstjahren verbringt Zidorn 20 in in Lüneburg, 20 in Winsen. Stationen sind darüber hinaus Braunschweig, Buxtehude und Bardowick. Er hat viel gesehen in dieser Zeit und viel erlebt. Bei drei großen Open-Air-Konzerten in Lüneburg leitet er den Verkehr, er evakuiert nach dem Fund einer Fliegerbombe 5000 Menschen aus ihren Wohnungen im Stadtteil Rotes Feld und begleitet den Bau des Zwischenlagers Gorleben sowie die Castor-Transporte. Unzählige Lehrgänge hat er im Laufe seiner Amtszeit besucht. Heute sieht die Ausbildung des Nachwuchses anders aus. Junge Polizisten müssen den Bachelor-Grad an einer der drei Polizeiakademien des Landes erwerben. Die Ansprüche der Gesellschaft an ihre Polizei haben sich verändert.

Die Respekt- und Distanzlosigkeit von Jugendlichen nimmt zu

„Die Öffentlichkeit hinterfragt heute unsere Aktionen anders als in den 1970er- oder -80er-Jahren, als Anordnungen einfach Folge geleistet wurde“, sagt Zidorn. „Wir werden gezwungen zu diskutieren und unser Tun zu begründen. Das sehe ich positiv, weil wir mit Worten am meisten erreichen können.“ Gleichzeitig nehme aber auch die Distanz- und Respektlosigkeit von Jugendlichen, wenn auch nur von einigen wenigen, gegenüber Polizei, Feuerwehren und Rettungsdiensten zu. „Die glauben, es sei alles erlaubt, wenn sie dabei nicht erwischt werden.“

Zidorn hat sich während seine Stationen im Dienst immer wieder mit Verbesserungen im Verkehr befasst, zum Beispiel Erlasse für das Innenministerium in Hannover mitgestaltet. So ist er zum Befürworter von Kreiseln geworden, mit den Unfallkreuzungen entschärft werden. Auch für einen lockereren Baumbestand an Straßen hat er sich eingesetzt. „Ein Drittel aller Verkehrstoten gibt es nach Kollisionen mit Bäumen.“ Als der heutige Erste Hauptkommissar seinen Dienst am 1. Oktober 1973 antrat, zählte man allein in Westdeutschland 18.000 Verkehrstote im Jahr. Heute sind es bundesweit 3500. Die Bilanz spricht für sich.

Seine nahe Zukunft sieht Zidorn in der Region. Er hat sich vorgenommen, häufiger mit dem Rennrad unterwegs zu sein, im Garten zu arbeiten und viel zu lesen. Im kommenden Jahr will er sich außerdem ein Ehrenamt suchen. Gemeinsam mit seiner Frau Frauke, einer Rechtsanwältin hat er bereits in der Vergangenheit Nordamerika, Indien und Süd-Ostasien bereist. Jetzt ist Deutschland dran. Auch auf Winsens Straßen wird der pensionierte Polizist weiterhin unterwegs sein. Nur ohne Uniform.