Kreis Pinneberg. Der Notfallseelsorger Gunnar Urbach hat die Großeltern betreut, die ihre vom eigenen Sohn ermordeten Enkelkinder gefunden haben.

Das Familiendrama in Wedel hat vier Menschen das Leben gekostet und Trauer, Entsetzen und Wut ausgelöst. Besonders betroffen sind die Hinterbliebenen der Opfer. Seelsorger versuchen, ihnen ersten Trost und Halt zu geben, bieten ein Ritual des Abschiednehmens an und gestalten dieses. Pastor Gunnar Urbach koordiniert seit Ende 2015 die Notfallseelsorge für den Kreis Pinneberg und den Bereich Norderstedt. In Norderstedt war er zuvor 33 Jahre lang Gemeindepastor. Im vergangenen Jahr hatten er und sein Team rund 60 Einsätze. Im jüngsten Fall haben sie die Großeltern in Wedel betreut, die am Sonntag ihre vom eigenen Sohn ermordeten Enkelkinder aufgefunden haben.

Wie gehen Notfallseelsorger in solch einer extremen Situation vor?

Gunnar Urbach: Tief durchatmen, ganz viel zuhören und aushalten, dass Menschen in solchen Situationen schwer reagieren. Gute Ratschläge oder Floskeln wie „die Zeit heilt alle Wunden“ helfen niemandem. Ein Seelsorger muss in erster Linie Leid aushalten können und auch die Frage, wie kann das passieren oder wenn der Betroffene gläubig ist, wie kann Gott das zulassen? Es gibt kein Patentrezept.

Und was antworten Sie als Pastor auf die Frage, wie Gott so etwas zulassen kann?

Das ist nicht Gottes Wille, sondern Menschenwerk.

Für die Großeltern ist es eine unfassbar schlimme Situation: Der eigene Sohn tötet seine Frau, die Enkelkinder und dann sich selbst. Gibt es da überhaupt Trost?

Ich kann nur Menschen raten, die Kontakt zu den Großeltern haben, diese nicht zu meiden oder zu verurteilen. Sie trifft keine Schuld. Sie sind selbst Betroffene. Nachbarn, Freunde, Verwandte sind in so einer Situation sehr wichtig. Sie müssen zulassen, dass sich der Trauernde das Geschehene von der Seele reden kann. Auch wenn er es zum dritten Mal erzählt.

Die getöteten Kinder sind in einer Kita betreut worden. Wie können Eltern und Erzieher ihren Kindern dort erklären, dass die Geschwister nicht wiederkommen werden?

In der Regel gehen Notfallseelsorger nicht in die Kita. Wenn dort professionelle Hilfe bei der Trauerverarbeitung gewünscht ist, würde ein Pastor oder eine Pastorin aus der Gemeinde diese Aufgabe übernehmen. Der kennt die Menschen vor Ort am besten. Rituale können Kindern wie Erwachsenen helfen, den Verlust zu verarbeiten. Sie können Bilder malen, in denen sie Erlebnisse aufarbeiten. Das fällt ihnen oft leichter als Erwachsenen. Es hilft nichts, drum herum zu reden. Das merken Kinder genau. Tod ist Tod.

Und wenn Kinder fragen, warum der Papa seine Kinder umgebracht hat...?

Dann würde ich ehrlich sagen, dass ich nicht weiß, warum.

Gibt es einen Unterschied bei der Trauerbewältigung von gläubigen und nichtgläubigen Menschen?

Der Glaube kann helfen, das Geschehene anzunehmen – nicht dabei, die Tat oder den Unfall zu verstehen. Aber der Glaube an ein Leben danach kann trösten. Rituale können unabhängig vom Glauben helfen. Ich biete immer an, zum Abschluss ein Gebet zu sprechen oder eine Kerze zu entzünden. Blumen oder Kerzen am Ort des Unglücks abzulegen, sind auch ein gutes Mittel, Betroffenheit, Trauer und Anteilnahme auszudrücken.

Wie häufig können Betroffene Notfallseelsorge in Anspruch nehmen?

Die Notfallseelsorge ist eine Akutbetreuung und grundsätzlich einmalig. Wir werden von der Rettungsleitstelle dazugerufen, kennen die Situation vor Ort nicht. Ich weiß nie, was mich erwartet, muss mich jedes Mal auf eine neue Situation einstellen. Für weiterführende Hilfe sind psychologische Beratungsstellen und ausgebildete Therapeuten zuständig.

Wie werden Seelsorger für Ihre Einsätze geschult?

Für den häuslichen Bereich, wenn jemand eines natürlichen Todes verstirbt, ist grundsätzlich jeder Gemeindepastor als Seelsorger ausgebildet. Bei Einsätzen im öffentlichen Raum kann ich auf eine Gruppe von fünf speziell ausgebildeten Pastoren zurückgreifen. Sie sind darin geschult, wie man sich am Tat- oder Unfallort bewegt, mit der Öffentlichkeit umgeht oder große Gruppen beispielsweise bei einem Busunfall betreut. Diese Arbeit ist grundsätzlich freiwillig.

War der Einsatz in Wedel einer der schlimmsten, die Sie in Ihrer Arbeit als Seelsorger erlebt haben?

Nein. In mehr als 20 Jahren Notfallseelsorge habe ich mehrfach solch schlimme Ereignisse miterlebt. Auch wenn die Arbeit manchmal schwer fällt, mache ich sie gern.

Spurlos gehen die menschlichen Dramen auch nicht an den Helfern vorbei. Wer hilft den Notfallseelsorgern?

Die Einsätze werden mit Amtsgeschwistern (so nennen sich die Pastoren untereinander, Anm. d. Redaktion) im Gespräch aufbereitet. Außerdem steht eine ausgebildete Supervisorin für persönliche Nachgespräche bereit.