Alexander Dora steht in der Fußball-Bezirksliga eigentlich zwischen den Pfosten. Wegen Personalnot hilft der 19-Jährige jetzt im Sturm aus – mit Erfolg

Glinde. Alles begann im Frühling bei einem fröhlich-festlichen Fußballspiel, das keiner mehr so richtig ernst nahm. Als der TSV Glinde in seinem letzten Heimspiel der vergangenen Saison Trainer Mario Scheck verabschiedete, sollte der ebenfalls scheidende Torwart Christoph Scheider noch mal seinen Einsatz bekommen. Stammtorwart Alexander Dora wich auf die Bank aus. In der 66. Minute wurde Dora eingewechselt. Ohne Torwarthandschuhe, er ging in den Sturm. Das Publikum nahm es belustigt zur Kenntnis. Dora schoss das entscheidende 4:2.

Einige Monate später sind dem Stormarner Bezirksligisten die Angreifer ausgegangen. Schecks Nachfolger Frank Kehr reagierte auf die Personalnot mit einer ungewöhnlichen Maßnahme, bot seinen Stammtorwart einfach im Sturm auf. Das Publikum nahm es skeptisch zur Kenntnis. Dora traf wieder. Und wieder. In dieser Saison schon viermal. Gegen den Tabellenführer Bergedorf 85 erzielte der 19-Jährige mit einem Flachschuss aus zwölf Metern sogar das Siegtor. Und wenn er mal nicht selbst trifft, legt er für die Mitspieler auf, so wie am vergangenen Sonntag, als er beide Glinder Tore zum 2:0 gegen den Rahlstedter SC vorbereitete.

„Wenn ich vor dem Tor stehe, weiß ich einfach, wie ich schießen muss“, sagt Dora. Dass er als Keeper sich besonders gut in andere Torhüter hineinfühlen könne, sei allerdings ein Irrglaube. Bis zur Winterpause soll der Torwart weiterstürmen. Im neuen Jahr, wenn einige derzeit verletzte Offensivkräfte wieder fit sind, zieht er wieder die Handschuhe an. Sein Stammplatz zwischen den Pfosten ist sicher, das haben ihm die Cheftrainer Kehr, Oliver Schomburg und Stefan Brandt versprochen.

Geboren und aufgewachsen in Hamburg-Barmbek zog Dora als er elf Jahre alt war mit seiner Familie nach Glinde und schloss sich dem TSV an. Wenn der Ball in der Sommerpause ruht, geht es zum Familienbesuch in die polnische Heimat seiner Eltern. Die Sprache spricht er fließend, auch „wenn mir manchmal einige Vokabeln fehlen“. Warum er bei Länderspielen zwar auch Deutschland, aber vor allem Polen die Daumen drückt, kann Dora, der eine Ausbildung zum Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik durchläuft, gar nicht genau sagen. Er muss das Team wohl einfach verteidigen, denn „alle sagen immer, Polen sei schlecht“, erzählt Dora. Kürzlich konnte er dann allen Spott zurückgeben. Im Oktober schlugen die Polen den amtierenden Weltmeister im EM-Qualifikationsspiel mit 2:0.

Erst im Jugendalter schulte Dora von Feldspieler auf Torwart um

Dass ausgerechnet Kehr nicht nur auf einer „Spaßveranstaltung“, sondern jetzt auch im Ernstfall, seinen Schlussmann im Angriff aufbietet, ist eine späte Pointe in der sportlichen Beziehung der beiden. Denn nur weil sich Dora vor Jahren in der Glinder Jugend als Feldspieler nicht gegen die besseren Teamkollegen durchsetzten konnte, schulte er um auf Torwart. Der Rat kam von seinem damaligen Jugendtrainer: Frank Kehr.

Was den Stürmer Dora auszeichne, sei schwer zu erklären, sagt Kehr. Taktisch sei er gut, läuferisch stark – und sehr effektiv bei der Chancenverwertung. Doch so kurios und erfolgreich die temporäre Versetzung Doras auch ist: Sie zeigt, wie kritisch es derzeit um die beiden Glinder Mannschaften (die „Erste“ spielt in der Bezirksliga Ost, die Zweitvertretung stieg im Sommer aus der Kreisliga auf und wurde der Nord-Staffel zugeteilt) personell bestellt ist. „So viel Verletzungspech kann man eigentlich gar nicht haben“, sagt Kehr. 42 Spieler gehören zum Gesamtkader. Anfang dieser Woche erschienen zwölf fitte Fußballer zum Training.

Personalmangel ist so groß, dass einige zwei Spiele hintereinander machen

Die Lage ist so ernst, dass es schon Sonntage gegeben hat, an denen ein Glinder um 12 Uhr für die zweite Mannschaft auflief und um 14 Uhr in der Startelf der „Ersten“ stand. „Unsere Spieler sind alle jung, die können das noch ab“, sagt Kehr, weiß aber auch, dass die Belastung eigentlich viel zu hoch ist. Aber was soll er machen – einen wie Dora gibt es kein zweites Mal.

Dreimal pro Woche trainieren beide Teams gemeinsam. Bis zum Sommer soll dann eine klare Zuteilung erfolgen. Für Bezirksliga-Verhältnisse ist es ein Mammutprojekt, das sich das Trainertrio aufgehalst hat. Die „Zweite“ ist mittlerweile im Abstiegskampf angekommen, während die erste Mannschaft auf Rang vier liegt, nur zwei Punkte von Platz eins entfernt. In dieser Saison haben sich die Stormarner das Ziel gesetzt, mit beiden Teams die Klasse zu halten. Und in ein paar Jahren, erzählt Dora, „wollen wir alle mal in der Landesliga spielen.“ Kehr gibt sich da noch etwas zurückhaltender: „Man muss immer abwarten, welche Spieler uns im Sommer verlassen. Wir können hier schließlich kein Geld zahlen.“ Dafür ist seit zwei Wochen sicher: Es wird ein Kunstrasenplatz gebaut.

Auf die Frage, was ihm nun lieber sei, Tore schießen oder Tore verhindern, hat Dora keine klare Antwort. Natürlich, ein Tor zu erzielen bringe schon Spaß. „Aber wenn ich ein paar Bälle halte und dann richtig sehen kann, wie ich den gegnerischen Stürmer zur Verzweiflung bringe – das mag ich.“