Reinbeker Karatekämpfer gewinnt in Erfurt in der Altersklasse U 16. Anfang kommenden Jahres fährt er zur Europameisterschaft

Reinbek. Blitzschnell duckt sich Kai Beck. Der Schlag seines Gegners rauscht mit voller Wucht am Körper des 15 Jahre alten Karatekämpfers der TSV Reinbek vorbei ins Leere. Kai erkennt seine Chance und kontert. Mitten durch die weit aufgerissene Deckung seines Gegenübers gelingt ihm ein weiterer Wertungstreffer. 3:0 führt der Reinbeker im Finale der deutschen U-16-Meisterschaften mittlerweile gegen Dany Nkelani Tandu, der von Sekunde zu Sekunde hektischer agiert.

Kai lässt nicht locker: Seinem Gegner den Rücken zugewandt, täuscht er einen Angriff mit der linken Ferse (Ura-Mawashi-Geri) an, um den völlig perplexen Karateka des USC Duisburg anschließend auf der ungeschützten rechten Kopfseite mit einem Halbkreis-Fußtritt (Mawashi-Geri) zu überraschen. Nach knapp einer Minute beenden die Kampfrichter in Erfurt (Thüringen) die Begegnung mit dem Urteilsspruch: „Neuer deutscher Meister der Altersklasse U-16 durch technischen K.o. ist Kai Beck von der TSV Reinbek.“

Es war ein Erfolg mit Ansage. „Vor einigen Wochen habe ich gegen Dany im Finale eines international besetzten Turniers verloren“, erzählt Kai. „Das sollte sich, falls wir bei den deutschen Meisterschaften erneut aufeinandertreffen, auf keinen Fall wiederholen.“ Gesagt – getan. Akribisch bereitete sich der 15 Jahre alte Reinbeker mit seinem Coach Timo Stieger-Fleischer auf eine eventuelle Neuauflage gegen den jungen Duisburger vor, der von keinem geringeren als Vizeweltmeister und Nationaltrainer Thomas Nitschmann trainiert wird.

„Wir haben gehofft, dass Kais Gegner bei einem Rückstand die Nerven verliert und beginnt, Fehler zu machen“, sagt Stieger-Fleischer. Er gab seinem Schützling Anweisung, zurückhaltend zu beginnen und sich aufs Kontern zu verlagern. Eine Strategie, die letztendlich zum Titelgewinn führte. Nicht zuletzt aufgrund dieses Erfolgs wird Jugendbundestrainer Klaus Bitsch den Reinbeker mit zur Europameisterschaft nehmen. Diese wird im kommenden Jahr Anfang Februar in Zürich (Schweiz) ausgetragen.

Ein Leben ohne Karate kann der 15-Jährige sich längst nicht mehr vorstellen. Sicherlich auch, weil die asiatische Kampfsportart für den Reinbeker der Schlüssel zur sozialen Integration in Deutschland war. Kurz nach seiner Geburt verließ Kai mit seinen Eltern die Bundesrepublik. Ein Jobangebot verschlug Vater Peter, von Beruf Schiffsingenieur, für acht Jahre nach Asien. Kai wuchs zweisprachig auf. Während Mutter Kazuko, gebürtige Japanerin, mit ihm in ihrer Heimatsprache kommunizierte, lernte Kai auf der Internationalen Schule fließend Englisch.

Deutsch kam definitiv zu kurz, was sich spätestens nach Rückkehr der Familie Beck in Reinbek bitter rächte. „Ich konnte so gut wie kein Wort Deutsch sprechen, als ich im Alter von acht Jahren in die zweite Klasse der Grundschule Mühlenredder eingeschult wurde“, erinnert sich Kai. Es sei für ihn schwer gewesen, sich in der fremden Umgebung anzupassen und Freunde zu finden. Das Blatt wendete sich nach einigen Monaten. „Meine Mutter riet mir, bei der TSV Reinbek mit Karate anzufangen“, sagt Kai. „Sport sollte nicht nur mein Selbstbewusstsein stärken, sondern mir auch helfen, Freunde zu finden.“ Drei Monate nach seiner Rückkehr begann der damals Achtjährige fleißig zu trainieren.

Die Englischkenntnisse seiner Sportskameraden, aber auch Kais Vielfalt an gestenreicher, „non verbaler“ Kommunikation halfen ihm, beinahe spielerisch die deutsche Sprache zu erlernen. Bereits zu Beginn der vierten Klasse konnte Kai dem Schulunterricht uneingeschränkt folgen. Mittlerweile besucht der Reinbeker die achte Klasse der Gemeinschaftsschule Wiesenfeld. Vor drei Monaten absolvierte er ein Praktikum bei einem Bergedorfer Sanitär- , Heizungs- und Dachdecker-Handwerksbetrieb. Nach den Sommerferien folgt ein weiteres bei einem Raumgestalter in Reinbek.

Kai überlässt kaum etwas dem Zufall. „Ich wollte zuerst einen handwerklichen, später einen eher kreativen Beruf kennenlernen“, sagt der 15-Jährige. Konkrete Vorstellungen über seinen künftigen beruflichen Werdegang habe er allerdings noch nicht.

Seine sportliche Karriere betreffend sieht das anders aus. Zu Beginn der Sommerferien reist Kai für drei Wochen nach Japan. In Nagasaki wohnt er bei Verwandten und wird als Höhepunkt der Reise einen zweitägigen Lehrgang des japanischen Nationaltrainers besuchen. „Den Kontakt hat meine Mutter hergestellt“, sagt Kai stolz. Zurück in Deutschland folgt ein einwöchiges Karate-Sommercamp, zu dem die Mitglieder des Landeskader geladen sind. Anschließend reist Kai zu einer weiteren Fortbildung für einige Tage nach Dänemark. Von Streitereien oder Prügeleien auf dem Schulhof oder außerhalb hält der junge Karateka sich fern. „Das widerspricht der Ideologie, die hinter unserer Sportart steht“, sagt Kai. Diese fordere ein freundliches, diszipliniertes und zurückhaltendes Auftreten gegenüber seinen Mitmenschen – in fast allen Lebenslagen.

„Karate ist nichts für Menschen, die sich damit auf der Straße Gewicht verschaffen wollen“, sagt Coach Stieger-Fleischer. „Wenn so ein Mensch doch den Weg zu uns findet, wirft er meistens schnell das Handtuch, da vor jeglichen Kampfkünsten drei Dinge stehen: Disziplin, Disziplin und nochmals Disziplin.