Bei den Janelt-Brüdern dreht sich fast alles um Fußball. Kein Wunder, dass im Elternhaus früher schon mal ein Spiegel zu Bruch ging

Bargfeld-Stegen. Irgendwann seien sie und ihr Mann nicht mehr aus der Sache mit dem „V“ herausgekommen, sagt Maike Rose-Janelt, Mutter von vier Söhnen. Dass die ersten beiden, Vincent, heute 21 Jahre alt, und Victor, 19, einen Vornamen mit demselben Anfangsbuchstaben bekamen, war eher Zufall. „Die anderen dann Nick oder Jan zu nennen, wäre irgendwie aussätzig gewesen“, sagt die 44-Jährige. Also folgten Vitus, heute 18, und Vitaly, 15. Freilich verbindet das Quartett weitaus mehr, als ein Buchstabe. Offensichtlichste Parallele: Die Liebe zum Fußball.

Einen Termin zu finden, an dem alle gleichzeitig in ihrem Elternhaus in Bargfeld-Stegen anzutreffen sind, erweist sich als ziemlich schwierig. Vitus ist der einzige, der nicht mehr im Verein spielt. Vincent Janelt spielt beim SSC Hagen Ahrensburg, zweimal pro Woche muss er abends zum Training. Victor hat den Schleswig-Holstein-Ligisten kürzlich verlassen, spielt nun beim Bargfelder SV (Kreisliga).

Das Leben des Jüngsten ist längst auf eine Profi-Laufbahn ausgerichtet

Meistens scheitert die Verabredung aber an Vitaly. Denn ausgerechnet der Jüngste ist am seltensten zu Hause. Weil er das meiste Talent besitzt. Der 15-Jährige geht um 7 Uhr morgens aus dem Haus. Den Tag verbringt er im HSV-Internat, spielt in der U 17 der „Rothosen“ und blickt auch schon auf zwei Einsätze in der U-15-Nationalelf zurück. Nach Hause kommt er eigentlich nur noch zum Schlafen. Das Leben des Teenagers ist längst auf eine Profi-Laufbahn ausgerichtet.

„Am liebsten würde ich in England spielen“, sagt Vitaly. „Dort gefallen mir die Stadien am besten.“ Manchmal wünsche er sich schon mehr Zeit für Freunde, Brüder, Hobbys. Inzwischen habe er sich aber gewöhnt an die langen, durchgetakteten Tage. Vitaly hat sogar schon einen eigenen Spielerberater. Die Agentur betreut talentierte Jugendspieler, aber auch einen echten „fertigen“ Star – Heung Min Son, der im vergangenen Sommer für eine Ablösesumme von zehn Millionen Euro vom HSV zu Bayer Leverkusen wechselte.

In der laufenden Saison hat Vitaly zwölf Partien in der B-Jugend-Bundesliga absolviert. Gegen Werder Bremen köpfte der defensive Mittelfeldspieler das Tor zum entscheidenden 1:0. Und auch für Deutschland hat er schon getroffen, im vergangenen Jahr, vier Tage nach seinem Geburtstag, gegen die Niederlande.

Doch wie ist es für die einzige Frau im Haushalt zwischen so viel Fußballverrückten? „Schrecklich“, sagt Maike Rose-Janelt, lacht aber dabei. Früher habe es auch schon mal Verbote geben müssen. Im Flur ging bei einem spontanen Eins-gegen-eins zwischen Vitus und Vitaly einst ein Spiegel zu Bruch, der Teppich musste irgendwann durch Parkett ersetzt werden und eine Lampe des Nachbarn war plötzlich kaputt, so Rose-Janelt, „dann repariert, und dann wieder kaputt“.

Das ständige Kicken im und vor dem Haus hat mit der Zeit aufgehört. Dafür sieht die Mutter ihren Jüngsten immer seltener. „Das fällt mir aber leicht“, sagt sie. „Die Älteren haben den Weg geebnet. Vincent hätten wir das wahrscheinlich nicht erlaubt.“ An Vitaly, den sie als „sehr diszipliniert“ beschreibt, beobachte sie außerdem, dass er sich beim HSV nicht nur fußballerisch entwickele. „Er hat auch an Sozialkompetenz gewonnen“, sagt sie.

Auch Vincent spielte als Jugendlicher beim HSV, träumte von einer Profi-Karriere. Nach einem halben Jahr beim FC St. Pauli ging er zum Bargfelder SV, um wieder mehr Zeit für die Schule zu haben und landete schließlich beim SSC Hagen, wo er mit seiner Kampfkraft zu einem wichtigen Teil der Mannschaft geworden ist. Nach einer Ausbildung zum Industriemechaniker macht er jetzt sein Fach-Abitur, im Sommer will er eine kaufmännische Ausbildung dranhängen. Ein Angebot eines höherklassigen Vereins lehnte er erst in dieser Winterpause ab, aus Zeitgründen – und weil er sein Team im Abstiegskampf nicht im Stich lassen wollte. „Er opfert sich für die Mannschaft komplett auf“ lobt auch Trainer Michael Schmal den gelegentlich aufbrausenden Mittelfeldspieler. „Manchmal ist er auch Opfer seiner Emotionen. Er braucht das aber auch, um ins Spiel zu kommen. Nach dem Schlusspfiff ist er dann wieder ganz normal.“

Im Stich lassen wollte auch Victor seine Mannschaftskameraden – und besonders seinen Trainer – nicht, und wechselte trotzdem nach der Hinrunde zum Bargfelder SV, wo der Aufwand geringer und der Weg viel kürzer ist. Mehrere Wochen habe er gegrübelt, bis er schweren Herzens die Entscheidung traf, seine Prioritäten zu verschieben. „Ich war schon enttäuscht“, gibt Michael Schmal zu, hat gleichwohl Verständnis für die Entscheidung des 19-Jährigen, der im Sommer wie so viele Ahrensburger Fußballer zuvor mit ein paar Freunden durch Australien reisen will. Victor sei ein ganz feiner Charakter, findet Schmal.

Für die Tour durch Australien und die geplante Weiterreise nach Bali baut sich Victor Janelt nun ein finanzielles Polster auf, arbeitet für eine Veranstaltungsfirma. Zudem absolviert er auf einer Grundschule ein Freiwilliges Soziales Jahr. Die Zeit des Leistungsfußballs wird für ihn ab September also für mindestens ein Jahr vorbei sein. Bis dahin ist der 18-Jährige Vitus der einzige der vier Janelt-Brüder, der nicht mehr jeden zweiten Tag dem Leder hinterherjagt. Bis vor zwei Jahren spielte er in Bargfeld, davor ebenfalls am Hagen. Nun konzentriert er sich auf sein Abitur. Seine regelmäßige Dosis Sport holt er sich jetzt im Fitnessstudio.

Die Zeit des fußballfixierten Zusammenlebens ist wohl bald vorbei

„Anders wäre es komisch“, sagt Victor über das fußballfixierte Zusammenleben mit seinen Brüdern – wohl wissend, dass es für ihn bald anders sein wird. Und auch Vincent, der es schätzt, dass „immer viel Action bei uns ist“, wird wohl irgendwann ausziehen. Vitaly steht zwar noch nicht unmittelbar vor einem Wechsel ins Mutterland des Fußballs, bleibt aber inzwischen auch schon mal bis Mitternacht weg.

Vor anderthalb Wochen nämlich stand der 15-Jährige abends im Stadion des HSV, als Balljunge. Beim Pokalspiel gegen die Bayern warf er vor 57.000 Zuschauern Mario Götze und Philipp Lahm den Ball zu und stellte sich dabei vor, selbst auf dem Rasen zu stehen.

Es war übrigens schon sein sechstes Mal als Balljunge. Einmal war die Vereinstreue stärker, als die Bewunderung für die Stars der anderen Clubs. Der HSV führte 3:2 gegen Borussia Dortmund, als es noch einmal Ecke für die Gäste gab. Vitaly ließ sich Zeit mit dem Zuwerfen. Wer der ungeduldige Dortmunder Spieler war und was er Vitaly Janelt entnervt zurief, sei an dieser Stelle nicht verraten. Nur soviel: „Er hat mich beleidigt. Aber das war mir egal.“