Der 19 Jahre alte Fußballer aus Grande spielte sich in die Stammelf des Kieler Drittligisten. Sein Traum ist die Bundesliga

Grande. Er gilt als Newcomer der Drittligasaison. Hauke Wahl, 19 Jahre, hat sich gleich in seinem ersten Profijahr bei Holstein Kiel in die Stammelf gespielt – und in die Herzen der Fans des derzeit besten Fußballclubs Schleswig-Holsteins. Sein erstes Spiel machte Wahl, der in Grande aufgewachsen ist, gegen Hansa Rostock, vor 13.000 Zuschauern. Der NDR sendete live. „Als ich meinen ersten Ballkontakt hatte“, erinnert sich Wahl an den 20. Juli 2013, „habe ich gedacht: ‚Oh, jetzt bin ich im Fernsehen‘“. Inzwischen aber habe er sich daran gewöhnt. Von jeder Partie der KSV gibt es zumindest Zusammenfassungen im TV zu sehen.

Der 1,85 Meter lange Blondschopf ist gelernter Mittelfeldspieler. Unerfahren noch, ein Talent. Vergangene Saison kam er ausschließlich in der U 19 zum Einsatz. Als ihn Trainer Karsten Neitzel am ersten Spieltag gegen Hansa ins kalte Wasser schmiss und im Abwehrzentrum aufbot, reagierten Medien und Fans mit einer Mischung aus Überraschung und Skepsis. „Ich hoffe, dass er souverän über die Runden kommt“, schrieb ein Anhänger im Fan-Forum. Ein anderer gab zu: „Hauke Wahl als Innenverteidiger in der Startaufstellung ließ mich schon schlucken.“ Nach der Partie, die 0:0 endete, war an selber Stelle nur noch von „erstaunlicher Abgeklärtheit“, von einem „klasse Einstand“, von einer „überzeugenden Leistung“ zu lesen. Das Fachmagazin kicker gab Hauke Wahl die Note drei. Bis zur Winterpause stand der Rechtsfuß immer in der Startelf, bestach regelmäßig durch gute Übersicht und sicheres Passspiel und verlängerte seinen Vertrag vorzeitig bis 2016. So schnell kann es manchmal gehen.

Schnell auch hat sich Wahl abgewöhnt, die Kritiken in der Presse zu studieren. Dabei kommt er angesichts einer kicker-Durchschnittsnote von 3,09 meistens gut weg. An anderer Stelle stand aber eben auch mal wenig sachlich, dass Wahl mit seinem linken Fuß überhaupt nicht schießen könne – er hatte den Ball einmal mit seinem schwächeren Fuß ins Seitenaus geschlagen. „Das hat mir gezeigt, dass ich mir darüber keinen Kopf machen muss“, sagt Wahl. Die Meinungen des Trainers und seines Vaters seien ihm wichtiger. Zudem könne er sich selbst auch ganz gut einschätzen.

Der Schüler, der in der Fördestadt auf das Gymnasium geht und in diesem Sommer die Abiturprüfungen bestehen will, blickt bereits auf eine recht bewegte Fußballer-Biografie zurück, die ihn nicht nur sportlich, sondern auch als jungen Menschen auf den Prüfstand stellte. Im Alter von 13 Jahren zog er zu Hause aus und ging nach Schwerin, wo er in ein Sportinternat einzog und für den FC Eintracht kickte. Die ersten zwei Wochen im Internat fühlten sich für den jungen Hauke an wie ein Ferienlager. „Dann habe ich ein halbes Jahr lang wirklich viel geheult.“

Seine Großeltern, die noch heute in Schwerin leben, halfen ihm über die schweren Monate voller Heimweh hinweg. Er blieb schließlich zweieinhalb Jahre in der Hauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns. Heute blickt er auf eine „sehr schöne Zeit“ zurück. Sein anschließendes Jahr bei Dynamo Dresden verlief weniger angenehm. Erst kam Wahl noch regelmäßig in der U-17-Bundesliga zum Einsatz, spielte dort auch gegen den Wolfsburger Maximilian Arnold, der 2013 den Durchbruch beim VfL schaffte (sechs Bundesligatore). Dann aber verlor er seinen Stammplatz und bekam – 400 Kilometer von Grande entfernt – Sehnsucht nach den Eltern und seinem kleinen Bruder Morten, 14. Und der Norden fehlte ihm auch. „Erst da ist mir aufgefallen, dass mir die norddeutsche Mentalität am besten gefällt“, sagt er. „Wenn der Norddeutsche aufgetaut ist, ist er sehr offen. In Dresden war alles etwas distanzierter.“ Kurz habe er sogar mit dem Gedanken gespielt, die Fußballschuhe an den Nagel zu hängen. „Aber das wäre Quatsch gewesen. Ich hatte schon so viel investiert.“

Auf der Suche nach einem neuen Verein in Schleswig-Holstein war Haukes Vater Jens-Peter Kort die entscheidende Hilfe. „Ich habe einfach mal in Kiel angerufen“, erzählt Kort. Er musste hartnäckig bleiben, es blieb nicht bei einem Anruf. Es gibt viele Väter, die in ihrem Sohn ein Ausnahmetalent sehen. Nicht viele haben recht. Dass Kort richtig lag, durfte Wahl schließlich bei einem Probetraining beweisen.

Im Sommer will sich Wahl an der Universität in Kiel einschreiben

„Dass er in seiner ersten Saison bei den Herren gleich so Fuß gefasst hat, war eine Überraschung“, sagt Kort. Charakterlich beschreibt er seinen Sohn als einen Dickkopf, aber auch im positiven Sinne. „Und total toll an ihm finde ich, dass er überhaupt nicht abhebt.“ Bodenständig nämlich bleibt der 19-Jährige auch bei seiner Karriereplanung. Nach dem Abitur will er sich auf der Universität einschreiben. Im Studentenwohnheim lebt er schon heute. Für einen Studiengang hat er sich aber noch nicht entschieden. „Eigentlich wollte ich immer Lehrer werden, für Sport und Mathematik. Aber das ist mit dem Fußball wohl nicht vereinbar.“ Mit der Doppelbelastung komme er gut klar. „Die Schule und der Verein helfen mir.“ Für die Lehrer ist es in Ordnung, dass er manchen Donnerstag und Freitag verpasst, wenn er mit Holstein zu Auswärtsspielen reist. Und für den Trainer ist es ebenfalls in Ordnung, dass sein Schützling in den Einheiten am Vormittag fehlt.

Aktuell hat ein 100-facher Zweitligaspieler die Nase vorn

Wie gut Wahl schon vor Jahren war, weiß Matthias Burmeister, der den damaligen Mittelfeldspieler als C-Jugendlichen in Trittau trainierte. „Seine Spielübersicht und Ballbehandlung waren sehenswert. Er war bei uns wirklich unterfordert“, erzählt der jetzige Fußball-Obmann des TSV.

Nach 23 Startelfeinsätzen für Holstein saß der Newcomer der Saison vor zwei Wochen erstmals auf der Bank. Neitzel gönnte ihm eine Pause. Der wesentlich erfahrenere Vertreter Manuel Hartmann (106 Zweitligaspiele für Koblenz und Ingolstadt) nahm Wahls Platz ein, Holstein gewann 3:0. „Ich stehe jetzt vielleicht ein bisschen hinten an“, so Wahl, „aber ich werde Gas geben“. Wie schnell es in die eine oder andere Richtung gehen kann, weiß er ja längst. „Zunächst mal will ich mich weiterentwickeln, so viele Einsätze wie möglich bekommen“, sagt er. Und das langfristige Ziel? „Jeder träumt davon, mal Erste oder Zweite Bundesliga zu spielen.“

Haukes Bruder Morten spielt übrigens heute in der C-Jugend-Verbandsliga für den TSV Trittau. Burmeister: „Auch er hat Talent.“