Imad Mokaddem und Dennis Wagner zogen sich beim Fußball einen Schien- und Wadenbeinbruch zu. Das Abendblatt bat sie zum Doppel-Interview

Steinburg/Oststeinbek. Mai 2013: Die Landesligafußballer des Oststeinbeker SV stehen an der Tabellenspitze, kämpfen um den Aufstieg in die Hamburger Oberliga. Im Spiel gegen den SC Vorwärts-Wacker Billstedt wird Mittelfeldspieler Imad Mokaddem nach 15 Minuten rüde von den Beinen geholt, sein Gegenspieler trifft ihn knapp unterm Knie – dabei brechen Schien- und Wadenbein.

Drei Wochen später ereilt Dennis Wagner vom SV Eichede im letzten Heimspiel der Saison gegen den TSV Altenholz dasselbe Schicksal. Er verpasst dadurch die Aufstiegsspiele der Steinburger zur Regionalliga Nord. Wegen Komplikationen während der Operation verliert er fast einen Fuß.

Das Hamburger Abendblatt brachte die beiden Mittelfeldspieler nun zusammen. Im Interview sprechen sie über unterschiedliche Vorhersagen der Ärzte, zu viel Schokolade im Krankenhaus und die Angst vor dem Comeback.

Hamburger Abendblatt:

Was haben Sie beide für eine Erinnerung an die Szene, in der das Bein brach?

Dennis Wagner:

Ich habe den Pfiff in Erinnerung, der wegen eines Fouls kurz zuvor kam. Das Foul an mir ist gar nicht mehr im Spielbetrieb passiert, sondern kurz nach dem Pfiff. Ich wollte den Ball nach vorne schlagen. Ich weiß noch, dass ich im Augenwinkel gesehen hab, wie mein Gegenspieler mit gestrecktem Bein kam. Es hat sofort „knack“ gemacht. Ich habe mein Bein angefasst und die Beule gespürt. Ich wusste sofort Bescheid und habe unserem Physiotherapeuten gesagt, dass er den Krankenwagen rufen kann.

Imad Mokaddem:

Ich habe es wie einen Stromschlag in Erinnerung. Ich wollte den Ball erlaufen. Ich habe den anderen Spieler sprinten sehen, bin aber locker vor ihm an den Ball gekommen, und habe den Ball Richtung Seitenaus gelupft. Als mein Fuß fest auf dem Boden stand, hat er mich getroffen, knapp unter dem Knie. Im Bein hat es vibriert, ich wusste gleich, da stimmt was nicht.

Was war ihr erster Gedanke?

Mokaddem:

Ich habe nur geschrien „warum jetzt, warum jetzt?“ Der Zeitpunkt war denkbar schlecht. Es ging gerade bergauf. Mein Studium lief perfekt, ich hatte einen guten Job, ich hatte alles im Griff. Sportlich stand ich mit meiner Futsalmannschaft Hamburg Panthers kurz vor der Teilnahme im Europapokal und mit dem OSV kurz vor dem Aufstieg in die Oberliga.

Wagner:

Bei mir war es ähnlich. Die Aufstiegsspiele zur Regionalliga standen an. Ich hatte mich körperlich noch nie so gut gefühlt wie in dem Moment und in den Wochen zuvor. Außerdem hatte ich erst drei Wochen vorher einen Arbeitsvertrag unterschrieben.

Haben Sie daran gedacht, dass Sie eventuell nie mehr Fußball spielen können?

Wagner:

Absolut. Ich bin zu drei Ärzten gegangen...

Mokaddem:

... die erzählen einen Käse manchmal...

Wagner:

(lacht)... ja, es gab drei Meinungen. Der eine sagte mir, ich könne nie wieder Fußball spielen. Ein anderer meinte: „Sie können in einem halben Jahr wieder laufen.“ Das soll kein Vorwurf sein. Aber dann sitzt man da ratlos. Ich war 24 damals, das war natürlich ein Schock, als der erste Arzt gesagt hat: „Das war’s.“

Sie, Herr Mokaddem, waren damals immerhin schon 31.

Mokaddem:

Ich bin im Krankenhaus aufgewacht und hatte ein riesiges, blutiges Eisengestell an meinem Bein. Das war ein riesen Schock. Dann noch mal an Fußball zu denken, fällt schwer. Dazu die ganzen Schrauben. Aus all den Schrauben und Platten, die mir inzwischen wieder aus dem Bein entfernt wurden, hätte ich ein Regal bauen können. Oder einen Flachbildschirm an die Wand hängen.

Wie war die Anteilnahme von Freunden und Mitspielern?

Mokaddem:

Extrem groß. Ich habe über zwei Wochen jeden Tag mindestens fünf, sechs, sieben Mal Besuch gehabt. Zu allem Übel haben mir alle Schokolade mitgebracht, worauf ich eigentlich unbedingt verzichten wollte, um nicht so sehr zuzunehmen...

Wagner:

... ja, das kenne ich. Genau so war es bei mir auch. (lacht)

Mokaddem:

Der OSV hat für mich ein Benefizspiel organisiert, gegen die Altherren-Mannschaft des HSV. Dafür bin ich sehr dankbar. Insgesamt war die Anteilnahme ganz extrem. Mich haben Leute besucht, die ich bislang gar nicht kannte.

Wagner:

Mich auch. Das war der Wahnsinn. Der Verein war auch viel für mich da. Zu den Spielen nach meiner Verletzung ist die Mannschaft in T-Shirts aufgelaufen, darauf stand „Alle für einen“. Die Spieler waren grundsätzlich immer für mich da, der Trainer Oliver Zapel auch, der Präsident Olaf Gehrken sowieso. Alle haben mir den Rückhalt, den man in so einer Situation unbedingt braucht, gegeben. Irgendwann ist das natürlich ein bisschen abgeflacht, was mir aber auch gut passte, weil ich dadurch ein bisschen abschalten konnte, nicht mehr so viel darüber nachdenken musste, was alles kaputt gegangen ist. Ich konnte alles ein bisschen verarbeiten und wieder nach vorne schauen.

Wie geht es Ihnen heute?

Wagner:

Ich bin froh, dass ich wieder mobil bin, arbeiten kann, schon locker joggen kann.

Mokaddem:

Ich war schon dreimal auf dem Laufband, jeweils für eine Stunde, das ging richtig gut. Dann dachte ich, ich wäre so weit, ein Hallentraining mitzumachen. Es lief ganz gut, aber am Tag danach hatte ich Knieschmerzen, weil die Muskulatur natürlich zurückgegangen ist. Ich hoffe, dass ich jetzt wieder so weit bin, eine Stunde zu laufen.

Wann hoffen Sie, wieder spielen zu können?

Mokaddem:

Ich denke, dass ich schon Ende dieser Saison körperlich so weit bin. Eine andere Sache ist die Psyche. Wie reagiere ich, wenn wieder ein Gegenspieler angerutscht kommt? Ich weiß es nicht.

Wagner:

Genau das wird es bei mir wahrscheinlich auch sein. Was passiert, wenn man wieder in die Situation kommt, einen Ball mit voller Wucht rausschlagen zu müssen? Das kommt ja oft vor, gerade wenn man im zentralen Mittelfeld spielt. Wie ist die Situation, wenn genau dann ein Gegenspieler von der Seite kommt? Ich wüsste nicht, was ich machen würde, ob ich wieder durchziehe, oder ob ich es sein lasse.

Mokaddem:

Und wenn du es halbherzig machst, dann verletzt du dich erst recht.

Wagner:

Genau. Und deswegen ist die Frage, wie weit man im Kopf ist. Vielleicht ist es auch so, dass man im Training einen drauf kriegt, der Schmerz ist da, aber man merkt: Das Bein hält wieder. Dann sind die Sorgen vielleicht sofort wieder weg. Ich habe schon mit dem Trainer gesprochen. Er hat gesagt, dass wir dann Maßnahmen treffen müssen, wenn ich wieder einsteige. Viel darüber sprechen, um die Angst wegzukriegen.

Wie hat sich die Verletzung abseits des Fußballs ausgewirkt?

Mokaddem:

Als Student ist es so, dass man überhaupt nicht abgesichert ist. Ich war sofort auf Null. Ich habe sieben Monate fast kein Geld verdient. Vor der Verletzung habe ich Nachtschichten in einem Klamottenladen gemacht. Zwei Monate später ist der Vertrag ausgelaufen, warum hätte mein Arbeitgeber ihn verlängern sollen? Als Trainer in der HSV-Fußballschule konnte ich auch nicht weitermachen. Es war eine sehr harte Zeit.

Wagner:

Ich habe Glück gehabt. Mein Arbeitgeber hat mir sofort gesagt, dass er mich behalten will. Das ist nicht selbstverständlich – zumal ich ja noch in der Probezeit war. Dadurch habe ich Krankengeld gekriegt. Sonst wäre ich auch auf Null gewesen.

Sind Sie dem Spieler, der Sie damals gefoult hat, seitdem wieder begegnet?

Mokaddem:

Nein. Er hat mir nach drei Tagen eine SMS geschrieben. Ich habe ihm geantwortet, dass ich ihn nicht sehen möchte.

Wagner:

Auch ich habe erst nach drei Tagen eine SMS von dem Spieler bekommen, ich habe darauf nicht geantwortet. Als der SVE im Juli im Landespokalwettbewerb gegen den FC Dornbreite Lübeck gespielt hat, wo er inzwischen Co-Trainer ist, hat er mich keines Blickes gewürdigt.

Schon kurz nach den Vorfällen wurde über beide Vereine angekündigt, dass gegen den Spieler, der das Foul begangen hat, Zivilklage eingereicht wird. Was ist seitdem geschehen?

Mokaddem:

Dazu will ich mich erst mal nicht konkret äußern, weil das noch nicht abgeschlossen ist.

Wagner:

Dem schließe ich mich an. So lange noch nichts Konkretes raus ist, will ich nichts sagen. Es wird mit Sicherheit etwas passieren.

Was haben Sie sich inzwischen für sportliche Ziele gesetzt?

Mokaddem:

Wenn ich mich entscheide, wieder Punktspiele zu machen, will ich Vollgas geben. Beim Fußball gibt es für mich keine halben Sachen. Es wäre toll, wenn ich im April mit den Panthers zum dritten Mal Deutscher Meister werde. Das ist natürlich ein ehrgeiziges Ziel.

Wagner:

Ich hoffe, dass es diese Saison vielleicht noch mal für zwei, drei Spiele reicht. Ich wünsche mir, dieses Regionalligagefühl im eigenen Stadion noch erleben zu dürfen, und wenn es nur zehn Minuten sind. In erster Linie aber will ich gesund bleiben und so etwas nicht noch einmal erleben. Ich sehe den Sport jetzt in einem anderen Licht. Ich gehe positiv in die Zukunft. Wenn es nicht mehr klappt mit der Regionalliga, ist es schade – aber kein Beinbruch.

Mokaddem:

Kein Beinbruch! (lacht)