Abendblatt begleitete die Fußballer des SV Eichede zum Spiel bei Eintracht Braunschweig II. Ob die Stormarner Punkte mitnehmen, entscheidet sich möglicherweise am grünen Tisch

Steinburg. Zwei Rücklichter bohren sich durch die Dunkelheit an der Matthias-Claudius-Straße in Steinburg. Ein Reisebus steht dort, der Motor läuft. Unter den Fenstern sind die Erfolge der Handballmannschaft des Hamburger SV aufgelistet. Europapokalsieger, Deutscher Meister, Champions-League-Sieger, hier fahren Weltstars. Nur ein kleines Schild hinter der Windschutzscheibe verrät, welches Team gerade wirklich Trikots, Ballsäcke und einen Ghettoblaster in dem Bus verstaut. „Kleines Dorf, großer Fußball“ steht dort geschrieben, daneben prangt das Wappen des SV Eichede. Es ist Freitag, 18 Uhr. In 20 Stunden müssen die Stormarner, die sich auch Bravehearts (übersetzt tapfere Herzen) nennen, in der Regionalliga Nord auswärts bei der zweiten Mannschaft von Eintracht Braunschweig antreten.

Es hat etwas von Vorbereitung auf eine Klassenreise. Torwart Fabian Lucassen guckt aus seiner Kapuze und sucht erst mal das Gespräch mit dem Busfahrer. Gibt es einen Fernseher im Bus? Auch einen Internetzugang? Und, nun in Richtung der Mitspieler gefragt, wer hat überhaupt DVDs mitgebracht? Um 18.45 Uhr, etwas später als geplant, geht es schließlich los. In den hinteren Reihen wird gelacht, weiter vorne breitet Jurastudent und Außenverteidiger Nico Fischer seine Bücher auf dem viel zu kleinen ausklappbaren Tisch aus. In Reihe eins sitzt Trainer Oliver Zapel.

Von Anspannung einen Tag vor dem wichtigen Spiel gegen einen direkten Konkurrenten um den Klassenerhalt ist nicht viel zu merken. Auch Zapel geizt nicht mit launigen Sprüchen. Wer Probleme mit Ironie hat, hat hier verloren. An der Raststätte Buddikate ist Zapel mit Obmann Heino Keiper verabredet, bekommt zwei DVDs, darauf ist das letzte Spiel der Braunschweiger gebrannt. Der Fernseher wird für das Studium des Gegners benutzt, einige Spieler stöhnen leise, sie wollen lieber „Coach Carter“ mit Samuel L. Jackson gucken. Nach der ersten Halbzeit bekommen sie ihren Willen. Fischer muss nun gegen den Lärm des Basketballfilms anlernen. Zapel scherzt wieder. „Hast du vier Augen?“

Bettruhe ist um 23 Uhr. Zwei Spieler müssen ermahnt werden

Im Hotel Balladins Superior in Braunschweig-Wenden sitzen einige Männer, 50 bis 60 Jahre alt, nippen an ihrem Weizenbier und gucken gelangweilt in den Fernseher. Dass plötzlich etwa 20 Männer, die meisten von ihnen mit dem gleichen Trainingsanzug bekleidet, durch das Bild laufen, ist eine willkommene Abwechslung. Die Spieler versammeln sich rasch im Restaurant, begrüßen Teammanager Frank Ockens, der schon am Nachmittag eingetroffen ist. Eigentlich wollte er den Gegner beim Abschlusstraining beobachten, hat sich sogar einen blau-gelben Schal zur Tarnung gekauft. Aber die Übungseinheit der Eintracht-Reserve fiel aus.

Das Essen, Schnitzel mit Pommes, lässt auf sich warten. Es ist schon nach 22 Uhr. Ernährungstechnisch ist das nicht gerade ideal. Ein Graus für den Perfektionisten Zapel. Erst eine halbe Stunde später sitzen alle auf ihrem Platz, fassen sich an den Händen. Mittelfeldspieler Felix Hinkelmann dreht sich umständlich nach hinten, der Kreis muss von Tisch zu Tisch geschlossen sein. Dann tönt es aus den Kehlen der mehr als 20 Männer: „Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb, guten Appetit.“

„So wie Emanuel Bento diese Woche trainiert hat, macht er normalerweise morgen das entscheidende Tor“, sagt Zapel. Dem 20-jährigen Deutsch-Portugiesen wird er erstmals die Chance geben, von Beginn an auf der „Zehn“ zu spielen. Zapel und die Co-Trainer Jan Jakobsen und Dirk Kohlmann sowie Torwarttrainer Frank-Andree Balz haben sich nach dem Abendessen zur Besprechung an einen Nebentisch zurückgezogen. Ockens, der Busfahrer und die Betreuer bleiben sitzen und ordern eine Runde Bier. Die Spieler sind da schon auf ihren Doppelzimmern. „Versuchen, zeitig ins Bett zu kommen. Wir gehen gleich noch mal rum, machen unsere Lauscher auf“, hat Zapel ihnen mit auf den Weg gegeben. Knoesel und Nowinski übernehmen den Job. Zwei Spieler müssen ermahnt werden.

Sonnabend, 8.30 Uhr, Spieltag. Es dämmert noch, als 16 Spieler bei knapp über null Grad ihre Runden über den nah am Hotel gelegenen Kunstrasenplatz des FC Wenden drehen. Gleichmäßig pusten sie Atemwölkchen in die Luft, die sich dort mit dem Nebel vermengen. Es folgt eine Gymnastik-Einheit. 30 Minuten nachdem Kohlmann und Balz unüberhörbar an die Türen von acht Doppelzimmern geklopft haben, sollen auch die Muskeln geweckt werden.

Nach dem Frühstück im Hotel versammeln sich alle im Raum Venedig zur Videobesprechung. Der Matchplan, den jeder Spieler auch im Intranet abrufen kann, wird durchgesprochen. Zapel zeigt über einen Beamer mehrere Szenen aus vorherigen Spielen der Braunschweiger, hält die Videos immer wieder an, zeigt Stärken und Schwächen des Gegners auf. Fast jeder Spieler bekommt spezielle Anweisungen. Bento fragt nach, wie er sich beim Pressing verhalten soll.

Vor der Kabinenansprache ist nur das Klackern der Stollen zu hören

Bevor die Eicheder zum Stadion fahren, kehren sie in das Vereinsheim des FC Wenden ein, um Gemüsesuppe zu essen. Über dem Tresen hängen Wimpel von Eintracht Braunschweig, auf dem Tisch liegen Bierdeckel mit dem BTSV-Logo. „Eine Provokation“, sagt Nowinski und lacht. Dann fassen sich alle an den Händen. Der Kreis wird geschlossen. „Piep, piep, piep...“

Der Bus parkt an der Hamburger Straße im Schatten des Eintracht-Stadions, in dem in dieser Saison alle zwei Wochen Bundesligaspiele steigen. In den Katakomben befindet sich die Kabine. Zum Spiel gegen Eintrachts „Zweite“ aber geht es nur durch das große Stadion hindurch auf einen Nebenplatz, einem der unwürdigsten Plätze der Liga, wo die Zuschauer vor lauter Zäunen kaum etwas sehen können.

Eine Viertelstunde vor dem Anpfiff kehrt das Team vom Aufwärmen zurück in die Kabine. Schweißgeruch liegt in der Luft, aus dem Ghettoblaster wummern die Bässe. Einige Spieler sitzen fast regungslos auf der Bank, andere laufen unruhig hin und her. Zapel ist mit der Taktiktafel beschäftigt. Dann ist es schlagartig ruhig, nur noch das Klackern der Stollen zu hören. „Okay, Leute“, eröffnet Zapel seine finale Ansprache vor dem Spiel. Sie dauert nur zwei Minuten. Zwei Stunden später steht die 1:2-Niederlage fest, gegen die Eichede einen Protest erwägt (siehe Text unten). Aus dem Ghettoblaster kommt wieder Musik, aber viel leiser. Kapitän Jan-Ole Rienhoff schlurft mit hängendem Kopf unter die Dusche. Fischer erkundigt sich nach André Kossowski, der mit einer Platzwunde ausgewechselt und ins Krankenhaus gebracht werden musste. Lucassen flucht. Die Niederlage war vermeidbar. Nun steht eine dreistündige Rückfahrt bevor, die nach einem Unentschieden angenehmer wäre.

Um 19.50 Uhr nimmt der Bus die letzten Kurven zum Eicheder Stadion. Unterwegs gab es bestellte Nudeln vom Asiaten. Die Stimmung wurde von Kilometer zu Kilometer wieder besser. Einige Spieler müssen schon morgen wieder ran, in der zweiten Mannschaft, im Spiel gegen Strand 08 in der Schleswig-Holstein-Liga. „Irgendwie ist man tatsächlich der Klassenlehrer“, sagt Zapel. „Man sitzt mit seinen Schäfchen im Bus und weiß genau, was in jedem Einzelnen vorgeht.“ „Die eigenen Befindlichkeiten müssen dabei hinten anstehen. Das fällt schwer“, sagt Zapel, bevor sich in seinen Tonfall plötzlich ein Hauch Erschöpfung einschleicht: „Denn ich weiß, was das wieder für eine Nacht wird, in der ich mich hin und her wälze.“