Vor drei Jahren spielte Arnold Lechler noch Eishockey. Heute ist er Fußballer beim SVE – und der effektivste Torjäger der Regionalliga

Steinburg. Arnold Lechler ist einer dieser Fußballer, die auf dem Spielfeld eine außerordentliche körperliche Präsenz ausstrahlen, aber schon fast schmächtig wirken, wenn sie direkt vor einem stehen. 80 Kilogramm bringt der Stürmer des SV Eichede auf die Waage, bei einer Körperlänge von 1,88 Meter. Sein privates Auftreten erinnert nicht an den Mittelstürmer, der in der Regionalliga momentan für Furore sorgt.

„Im Mannschaftskreis kann er sich noch mehr öffnen“, beschreibt Trainer Oliver Zapel die eher zurückhaltende Art des 22-Jährigen, der auf dem Platz kaum zu bremsen ist. Sechs Joker-Tore in sechs Spielen, alle 24 Minuten ein Treffer – Lechler ist der Spieler mit der mit Abstand besten Torquote der Liga. Zum Vergleich: Der 13-fache Nationalspieler Patrick Helmes war bei seinen Einätzen für die zweite Mannschaft des VfL Wolfsburg alle 86 Minuten erfolgreich.

Geboren ist Lechler in Omsk, einer Stadt in Sibirien, wo im Winter schon mal minus 20 Grad herrschten und man gezwungenermaßen Wasser holen ging, sich Schweine und Hühner hielt und das Gemüse selbst anbaute. „Meine Eltern wollten ein besseres Leben für uns“, sagt Lechler. Als er ein Jahr alt war, zog die Familie nach Norddeutschland und blieb bis heute. Mit der Zeit kamen immer mehr Freunde aus der alten Heimat hinterher. Lechlers Lebensgefährtin Katharina, 25, mit der er in Geesthacht wohnt, stammt aus Russland, viele seiner Freunde ebenfalls. „Direkt nach Russland hingezogen“, sagt er, „fühle ich mich aber nicht“.

Fünf Wochen dauert die Erfolgsgeschichte des Arnold Lechler erst an und ist doch schon einzigartig. Es begann mit einem „Rabentag“, wie der Stürmer des SV Eichede heute seinen Auftritt bei einem Testspiel im September bezeichnet. Während seine Mannschaftskollegen beim 8:0 gegen den Bramfelder SV nach Belieben Tore schossen, traf der 22-Jährige innerhalb einer Halbzeit viermal Pfosten oder Latte. Vier Tage später nahm ihn Zapel trotzdem mit zum Auswärtsspiel gegen den SV Wilhelmshaven. „Ich habe nicht geglaubt, dass ich spielen werde“, sagt Lechler. Nach gut einer Stunde Spielzeit wurde er eingewechselt, zwei Minuten später schoss er das 1:1.

Die Geschichte des Hobbykickers, der vergangene Saison noch beim SC Wentorf in der achten Liga gegen den Ball trat, kennt inzwischen wohl fast jeder der Zuschauer, die alle zwei Wochen ins Ernst-Wagener-Stadion kommen und euphorisch Beifall klatschen, wenn Lechler in der zweiten Halbzeit eingewechselt wird. Wie es aber sein kann, dass so ein Spieler trotz unübersehbarer Defizite im taktischen Bereich und obwohl er bislang wegen unterschiedlicher Blessuren immer auf Schmerztabletten angewiesen war, gestandene Regionalligaspieler abschüttelt wie lästige Fliegen und Tore aus 30 Metern Entfernung schießt, dafür haben nur die wenigsten eine Erklärung.

Oliver Zapel beobachtete Lechler das erste Mal vor rund einem Jahr. Im Winter vereinbarte er ein Testspiel gegen den SC Wentorf, danach war er endgültig überzeugt. „Er hat eine Schusskraft, wie ich sie seit Rainer Bonhof bei überhaupt keinem Fußballer gesehen habe“, sagt er. Und auch im offensiven Zweikampf habe Lechler die Qualitäten eines Bundesligaspielers. „Sobald er das Tor im Visier hat, können ihn auch drei Elefanten nicht aufhalten.“

Seine Robustheit bringt Lechler, der als Maurer in Hamburg-Kirchwerder arbeitet, auch aus seiner Zeit als Eishockeyspieler mit. 15-jährig war ihm die Lust am Fußball plötzlich vergangen und er schloss sich der von seinem Vater gegründeten Hobbymannschaft an. „Schnell Schlittschuhfahren konnte ich sofort, aber bremsen erst nach zwei Monaten“, sagt Lechler und lacht.

Als er drei Jahre später wieder beim SC Wentorf anfing, mochte ihm kaum etwas gelingen. „Immer vor dem Tor, immer daneben“, sei seine Spielweise damals gewesen, sein Spitzname bei den Teamkollegen schnell „Holzfuß“. Nach und nach fand er sich aber wieder mit dem Fußball zurecht, in der letzten Saison schoss er in der Hamburger Kreisliga für die erste und zweite Mannschaft mehr als 60 Tore.

Bald soll es auch mit dem ersten Einsatz in der Startelf klappen, noch ist Lechler aber nicht hundertprozentig fit. Derzeit macht ihm eine spät diagnostizierte Adduktorenverhärtung zu schaffen. „Ich will nicht für immer in der Jokerrolle bleiben“, sagt er. Und noch ein Projekt steht an: Demnächst zieht er mit Freundin Katharina und ihrer vierjährigen Tochter in eine Doppelhaushälfte in Escheburg.