Fußballprofi Max Kruse wurde in Reinbek groß. Zu seinem Länderspieldebüt schaute das Hamburger Abendblatt in der Heimat des 25-Jährigen vorbei

Reinbek. In einem Reinbeker Garten haben sich 20 Menschen zu einem besonderen Fernsehabend versammelt. Zwischen grüner Hecke und violett blühendem Rhododendron sitzen sie auf Gartenstühlen, trinken das spendierte Bier oder den selbst mitgebrachten Wein. Und für manch einen ist dies so ein Abend, an dem man sich fragt, wie die Zeit so schnell vergehen konnte. Den Mann, der dort auf dem Bildschirm zu sehen ist, kennen hier viele noch als kleinen Knirps. Nun ist er 25 Jahre alt und trägt das Trikot der Deutschen Nationalmannschaft. Im Garten gegenüber, auf der ruhigen Straße und auf dem unweit entfernten Bolzplatz am Krähenwald erlernte Max Kruse das Fußballspielen.

Gastgeber an diesem Abend sind, wie so oft zu besonderen Anlässen, Jörg Marten mit seiner Frau Anja. Max' Vater Frank Kruse hat das Bier ausgegeben, dabei sein kann er diesmal nicht. Er zieht es vor, die Partie im 7700 Kilometer entfernten Stadion in Florida vor Ort zu verfolgen. "Wie geht's?", fragt Nachbar Marten über sein Mobiltelefon. "Lampenfieber!", kommt es zurück. Noch 40 Minuten bis zum Freundschaftsspiel zwischen Deutschland und Ecuador. Kruse steht in der Startelf.

Der Fußballprofi des SC Freiburg, der zur kommenden Saison zu Borussia Mönchengladbach wechselt, begann im Alter von vier Jahren bei der TSV Reinbek. Später führte ihn sein Weg über Werder Bremen und den FC St. Pauli ins Breisgau, wo er sich mit elf Treffern und acht Vorlagen in das Blickfeld von Joachim Löw spielte.

Als erstes ist das Ehepaar Farclas mit seinen zwei Söhnen Nico und Kay im Garten der Martens eingetroffen. Mit im Gepäck: ein Transparent. "TSV Reinbek begrüßt Max Kruse" hat Nico geschrieben. Per Hand und auf ein handelsübliches Spannbettlaken. Junger Künstler, alte Schule. Beim Gastspiel des SC Freiburg beim HSV wehte der Gruß schon im Familienblock.

Auch Nicos jüngerer Bruder Kay hat sich etwas ausgedacht. Auf dem Rücken seines Nationalmannschafts-Trikots hat er mit mütterlicher Hilfe zwei Buchstaben ausgetauscht - und ist jetzt der wohl erste Besitzer eines Deutschland-Trikots mit dem Namen des Lokalhelden. Miroslav Klose haben ja alle.

Anpfiff. Es sitzen noch nicht alle, da führt Deutschland schon. Jubel und Gelächter mischen sich. Wie es sich wohl angehört hätte, wenn nicht Lukas Podolski nach sieben Sekunden getroffen hätte, sondern der Angreifer mit der Nummer 20?

Dass der Bundestrainer auf ihn aufmerksam geworden ist, erfuhr Max Kruse am 7. Mai, als sich die Wege zufällig in einem Freiburger Restaurant kreuzten. Kaum war das Gespräch beendet, wählte Kruse die Nummer seines Vaters. "Eben hat mich Jogi Löw angesprochen", berichtete er stolz. Und als er hörte, dass sein Vater gerade im Nebenhaus mit dem Ehepaar Seemann zusammensitzt, fügte er an: "Gib mir mal Andrea, die hat Geburtstag."

Genauso, wie hier niemand Max Kruse vergessen hat, hat auch Max Kruse niemanden vergessen, berichten die ehemaligen Nachbarn unisono.

Im Länderspiel ist Halbzeit. Inzwischen steht es 4:1. Einen Treffer hat Kruse vorbereitet. Während sein Vater in Florida "Wie sah das von Weitem aus?" in sein Handy tippt, werden in Reinbek Anekdoten ausgetauscht. Manfred Seemann kennt den Hauptdarsteller des Tages seit dessen Geburt. "Mit zwei hat er angefangen, Fußball zu spielen. Mit vier wusste er, wer vor fünf Jahren in der Nationalelf gestanden hat", berichtet er. Stundenlang habe er den Ball gegen die Hauswand geschossen, bis er endlich Mitspieler fand.

Einer dieser Mitspieler war Phillip Dittrich, erzählt Camilla Döbel, während der Ball wieder rollt. Kam ihr Patensohn früher zu Besuch, war er auch gleich wieder verschwunden - mit Max. Bis heute sind die beiden beste Freunde. Dittrich, 25, spielt in der Hamburger Bezirksliga Ost für den MSV Hamburg.

Die letzten Minuten laufen. In das unüberdachte Stadion in Florida prasselt inzwischen der Regen. In Reinbek ist es kühl geworden. Kruse wurde ausgewechselt. Es steht nur noch 4:2, das Spiel wird jetzt immer schlechter. Aus der gespannt auf den Fernseher schauenden Gruppe ist eine Plauderrunde geworden. Einmal aber - direkt nach dem Abpfiff - gilt doch noch mal alle Aufmerksamkeit dem TV-Gerät. Kruse im Interview. Der frischgebackene Nationalspieler sagt, was ein Nationalspieler zu sagen hat. Dann verschwindet er für heute von der Bildfläche. Die ersten Gäste verabschieden sich.

Geht Jörg Marten heute zufrieden ins Bett? "Obwohl wir erst vor vier Tagen eingeladen haben, sind so viele Freunde vorbeigekommen", sagt er, der wie immer ein guter Gastgeber war. "Und wann sieht man schon mal so einen Knirps in der Nationalelf spielen", ergänzt er, der Max Kruse von Kindesbeinen an kennt.