Der Reinbeker Manuel Schiller startet beim Ötztaler Radmarathon. Dabei muss er vier Alpenpässe und mehr als 5500 Höhenmeter bewältigen.

Reinbek. Nach zwölf, dreizehn Stunden im Sattel will man nur losheulen. "Wenn man sich dann den letzten Anstieg nach oben gequält hat und vom 2509 Meter hoch gelegenen Timmelsjoch aus auf dem Rennrad mit Tempo 88 bergab in Richtung Sölden rast, Tausende von Fans an der Strecke Spalier stehen und einen anfeuern, dann überkommt mich ein Glücksgefühl, das mit Worten einfach nicht zu beschreiben ist", sagt Manuel Schiller. "Auch wenn es einem vorher richtig dreckig ging, hier sind alle Strapazen schlagartig vergessen."

Der Reinbeker startet am kommenden Wochenende im österreichischen Sölden beim Ötztaler Radmarathon, nach 2010 und 2011 zum dritten Mal in Folge. Der 33-Jährige hatte wieder einmal Glück: Mehr als 19 000 Radsportler bewarben sich um eine Starterlaubnis für dieses Rennen, das seit 1982 ausgetragen wird und als extrem schwierig gilt. Lediglich 4000 Fahrer erhielten einen der begehrten Plätze, die seit 2008 per Losverfahren vergeben werden. Zu den bekanntesten Startern gehören in diesem Jahr der ehemalige Tour-de-France-Sieger Jan Ulrich und sein Freund, der einstige Slalom-Weltmeister Frank Wörndl. Zweimal hat Schiller bereits den extremen Anforderungen standhalten können und es bis ins Ziel geschafft. "Alles andere als ein Ankommen wäre für mich eine große Enttäuschung", sagt er.

Die 238 Kilometer lange Strecke führt die Fahrer aus 30 Nationen über insgesamt vier Alpenpässe, mehr als 5500 Höhenmeter müssen bewältigt werden. "Nach dem Start in Sölden geht es erst einmal rund 30 Kilometer bergab. Vergangenes Jahr hatte es geregnet und es war mit vier Grad bitterkalt", erzählt Schiller. Es folgt der Anstieg zum 2020 Meter hohen Kühtai. "Der bekam seinen Namen, weil dort öfter Kühe herumstehen", sagt der Reinbeker. Was bei der anschließenden Abfahrt nicht besonders spaßig sei, wenn man als Fahrer bei hohem Tempo den Tieren ausweichen müsse.

Doch was ist letztendlich das Besondere, das jemanden dazu bringt, diese ungeheuren Strapazen auf sich zu nehmen. "Ich bin auf der Suche nach der bestimmten Herausforderung, nach etwas, das man nicht teilen kann und einen als Sportler tief in den wirklich roten Bereich hinein bringt", so der 33-Jährige. Den Ötztal-Marathon müsse man wirklich wollen und dafür schon vorher im Training mehrmals an seine Grenzen gehen.

Neben dem konditionellen Aspekt ist der Ötztal-Marathon auch eine extreme mentale Herausforderung. Beim Anstieg zum Timmelsjoch, dem vierten Pass, stecken den Fahrern bereits mehr als 180 Kilometer in den Beinen. Es ist nur noch der eiserne Wille, der sie vorantreibt. "Der vierte Anstieg über 1760 Höhenmeter ist praktisch die Kür, da sind schon gute Jungs ausgestiegen", sagt Manuel Schiller. "Es geht human los, nicht zu steil, alles ist gut. Es zieht sich, fast 30 Kilometer lang, dann wird es auch brutal." An einer Stelle der Strecke sehe man plötzlich eine scheinbar nicht enden wollende Serpentinenstraße über sich auftauchen. "Es schießt einem sofort der Gedanke durch den Kopf: Verdammt, da muss ich noch hoch. Richtige Motivation sieht wirklich anders aus", so der Reinbeker. Der Radsport ist aus seinem Leben nicht wegzudenken. Bereits als 14-Jähriger nahm er in seiner Alterklasse an Wettkämpfen teil. Schiller verbindet aber auch gerne das Praktische mit dem Nützlichen. So auch seine beiden großen Hobbys Sport und Reisen. Er ist begeisterter VW-Bus-Fahrer, nennt einen als Camper ausgestatteten T 5 sein eigen. "Wenn wir am Wochenende etwas unternehmen, fährt meine Frau Kristin mit dem Bus gerne schon einmal vor, ich fahre mit dem Rennrad hinterher", so der Reinbeker. Ein gutes Ausdauertraining, denn ein mögliches Ziel kann da auch schon mal schnell die gut 200 Kilometer entfernte Müritz sein. Beim Training lässt er sich meist über Kopfhörer von gitarrenlastiger Rockmusik begleiten. "Das pusht mich. Ich mag es, wenn es ordentlich zur Sache geht."

Vor drei Jahren erfüllten sich die beiden einen über lange gehegten Traum: Ein Container wurde bestellt, der VW-Bus verladen und es ging ab nach Südamerika. "Kristin und ich sind von unserem gemeinsamen Arbeitgeber auf eigenen Wunsch für ein halbes Jahr freigestellt worden", sagt Schiller. Von Chile aus führte sie die Reise nach Bolivien, Peru und Argentinien, danach weiter in den Süden Richtung Patagonien. "In Bolivien haben wir eine Route zwischen Cochabamba und La Paz gesucht. Wir hatten kein allzu gutes Kartenmaterial dabei, trotzdem meinten wir, die beste Strecke gewählt zu haben", erzählt Schiller. Hilfsbereit wie die beiden Stormarner nun einmal sind, boten sie dem einen oder anderen Anhalter entlang der Strecke eine Mitfahrgelegenheit, inklusive der dicken Sporttaschen, die sie als Handgepäck bei sich führten. Die Verständigung verlief über Handzeichen, da beide weder Spanisch oder das von den Einheimischen gesprochene Quechua können. "Im Nachhinein haben wir erfahren, dass wir uns auf einer bekannten Route für Drogenkuriere befanden. Sicherlich waren die Anhalter nicht unbedingt mit ihren Taschen auf dem Weg ins nächste Fitnessstudio", erzählt Schiller.

Für Sonntag hat Schiller eine klare Vorstellung: "Ich will es unter allen Umständen bis ins Ziel schaffen, dort meine Frau in die Arme schließen. Anschließend auf dem Campingplatz ausgiebig duschen und später gemütlich Pizza essen gehen."