Der 19-jährige Kevin Burmester gewinnt gegen Milder de Olivera den Weltmeistertitel im Kickboxen - und das bereits in Runde zwei.

Glinde. Das linke Auge von Kevin Burmester wird dicker und dicker. Der Kickboxer ist irritiert - denn dieses Mal hat er den Gegner nicht kommen sehen. Kein Wunder, schließlich ist er unsichtbar. Versteckt in einer weißen Papierserviette, mit der sich seine Freundin Sekunden zuvor den Mund abgewischt hat. Und mit genau dieser Serviette hatte er sich übers Gesicht gewischt. "Eigentlich war meine Freundin Schuld, mit der ich in einem kleinen Restaurant in der Dominikanischen Republik zum Essen war", erzählt Burmester. "Sie hatte Languste gegessen, ich bin allergisch gegen Schalentiere."

Seit vier Jahren sind die beiden zusammen. Und obwohl sie ihm ein dickes Auge verpasst hat, sind die beiden weiterhin ein glückliches Paar. Ihr galt direkt nach dem Kampf auch gleich der erste Anruf aus dem Stadion von Benfica Lissabon. Vor seinem Urlaub in der Karibik bestritt Burmester in Portugal seinen ersten WM-Kampf im Kickboxen (World Kickboxing Network) in der Gewichtsklasse bis 66,7 Kilogramm - und gewann für viele Experten überraschend. Bereits in Runde zwei schickte er den amtierenden Weltmeister Milder de Olivera zu Boden.

Neben seinen sportlichen Aktivitäten konzentriert sich der 19-Jährige zur Zeit vorrangig auf sein Abitur. Er besuchtdie Otto-Hahn-Schule im Hamburger Stadtteil Jenfeld, nach den Ferien die 13. Klasse. Sport ist eins seiner Leistungsfächer. Aber auch Mathematik und Biologie. "Ich erwarte einen Notendurchschnitt um die 2,0", sagt der Weltmeister. Beruflich lässt er sich noch verschiedene Optionen offen. Berufsfeuerwehr oder Bundeswehr könne er sich vorstellen, so Burmester. Er mag spanische und lateinamerikanische Musik. Da passt es ganz gut, dass Freundin Samantha ihre Wurzeln in der Dominikanischen Republik hat. Er mag die mittelamerikanische Mentalität, diese Gelassenheit und Lebensfreude, deshalb lerne er auch eifrig Spanisch, betont der Glinder. Wenn es seine Zeit zulässt, schaut er sich gerne Filme auf DVD an, taucht dabei aber nicht in irgendwelche Phantasiewelten ab, er mag es lieber bodenständig. "Ich bevorzuge Filme, die auf wahren Begebenheiten beruhen", sagt Burmester. 22 Bullets mit Jean Reno oder Blow mit Johnny Depp seien seine momentanen Favoriten.

Seilspringen, Pratzenarbeit, Schlagkombinationen: Mindestens viermal in der Woche steht ein zweistündiges Training auf dem Programm, vor einem Kampf könne es sogar noch öfters sein, so der Champ. Er trainiert abwechselnd im Xite-Fighting in Trittau und im Hamburger Kwan Gym. Stets an seiner Seite: Vater Lutz Burmester, selbst mit einer Kampfbilanz von mehr als 100 Kämpfen ausgestattet, gewann er 1991 die Europameisterschaft im Vollkontakt-Kickboxen. Und er steht hinter seinem Sport. "Wir bilden hier Sportler und bestimmt keine Schläger aus", betont der Trainer, angesprochen auf das teilweise negative Image, das den Kickbox-Sport umgibt. Wenn einer seiner Schüler sich in der Öffentlichkeit nicht benehmen würde, könne er sich sofort einen anderen Verein suchen. Lutz Burmester hat auch den ersten WM-Kampf besorgt: "Es war ein kleiner Deal, jedenfalls sah sich unser Gegner mit meinem Sohn als Herausforderer auf der sicheren Seite."

"Erst sechs Wochen vorher bekam ich Bescheid, dass der Kampf steht. Ich war nicht wirklich darauf eingestellt", sagt Kevin Burmester, gefreut habe er sich allerdings riesig. Einer wie er, der sowieso nie raucht oder Alkohol trinkt, stellte seine Ernährung noch strikter um: morgens ein ausgiebiges Frühstück, mittags viele Kohlehydrate und abends nur Eiweiß. Und er ließ von heute auf morgen alle Dinge weg, "die man doch schnell mal so nebenbei in sich reinstopft." Videoanalysen und ein speziell auf seinen Gegner aus Angola ausgerichtetes Training sorgten darüber hinaus für eine optimale mentale und physische Verfassung des Glinders. Zweimal am Tag wurde trainiert, acht bis 15 Runden Sparring durchgezogen, alternativ noch zusätzlich abends einige Kilometer gelaufen oder 60 Minuten Seil gesprungen.

Doch auch die allerbeste Vorbereitung schützt nicht vor Nervosität und Anspannung, die Minuten vor dem Kampf auf dem Sportler lasten, das wurde Kevin Burmester direkt im Ring vor mehr als 1000 Zuschauern wieder einmal vor Augen geführt. "Nach meinem Einmarsch wartete ich im Ring auf meinen Gegner. Ich merkte, wie bei mir die Nervositätvon Sekunde zu Sekunde stieg ", so Kevin Burmester. De Olivera liebt das Spektakel, ließ sich als Titelverteidiger richtig feiern. "Er kam mit afrikanischen Tänzerinnen rein, machte mindestens 15 Minuten ein riesen Ramba-Zamba."

Mit dem Gongschlag zur ersten Runde waren nicht nur die Tänzerinnen verschwunden, auch der ganze Zauber, der de Olivera umgab. "Kevin hat gleich Vollgas gegeben, hat ihn in der ersten Runde von Anfang bis Ende durch den Ring getrieben", berichtet sein Vater. Das ganze Betreuerteam von Kevin sei zuerst richtig irritiert gewesen über die defensive Taktik von de Olivera. Aber schon in Runde zwei offenbarte sich, dass da in Wirklichkeit nicht viel Taktik im Spiel war. In Sekunde 30 erwischte Kevin Burmester mit einem Leberhaken - das Aus für de Olivera und der Weltmeistertitel für den 19-jährigen Glinder. Richtig realisiert hat er den Titelgewinn erst abends am Hotelpool: "Als alle bereits im Bett waren bin ich noch einmal alleine zum Pool gegangen, habe mich auf eine Liege gelegt. Da wurde mir zum ersten Mal bewusst - ich bin Weltmeister", erzählt Kevin Burmester.

Entledigt Kevin sich seines T-Shirts, wird ein großes Tattoo ersichtlich. Aber auch bei der Auswahl der Motive weicht der 19-jährige Glinder stark von dem Klischee ab, das manch einer von der Kampfsport-Szene im Hinterkopf hat. "Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren" ist auf der rechten vorderen Körperseite zu lesen. "Das ist halt ein Gebot", so der Weltmeister, und an das solle man sich auch halten.