Der gehörlose Bargteheider Holger Jegminat gehört zu den 21 Kandidaten, die sich um die vier frei werdenden Plätze bewerben

Bargteheide. Im Festsaal eines Nobelhotels nahe des Hamburger Dammtorbahnhofs streckten die 100 Gäste in den nur spärlich gefüllten Sitzreihen ihre Arme nach oben und wackelten mit den Händen, unter Gehörlosen das Zeichen für Applaus. Von der Bühne aus winkte Holger Jegminat zurück und lachte zufrieden, zwei Wochen lang hatte er an seinem Vortrag gearbeitet, von dem so vieles abhängt. Was der Mann aus Bargteheide in Gebärdensprache zu sagen hatte, übersetzte eine Dolmetscherin, und Jegminats Worte schienen gut angekommen zu sein bei den Mitgliedern des Hamburger SV.

Jegminat war ziemlich aufgeregt an diesem Abend Mitte Dezember, seitdem aber steigt seine Nervosität von Tag zu Tag. Am 9. Januar, einem Sonntag, wird er wieder zu seinen Vereinskameraden sprechen, anschließend hofft er nicht nur auf den Beifall, sondern vor allem auf die Stimmen des Publikums. Der Stormarner, 47 Jahre alt, von Beruf Konstrukteur und angestellt bei einem großen Bauunternehmen, will in den Aufsichtsrat des HSV.

Der 47-Jährige wirbt mit Vereinstreue und sportlicher Kompetenz

Er sagt, dass er etwas bewegen, etwas verändern, "die momentane Situation verbessern" möchte: "Im Verein ist im Moment viel Unzufriedenheit." Dabei hat Jegminat einiges schon erreicht mit seinem Engagement, den Klub ein Stück mehr geöffnet für Gehörlose. Einmal im Monat bietet er Stadionführungen in Gebärdensprache an, seit ein paar Jahren sind auf jeder Mitgliederversammlung Dolmetscher vor Ort. "Bezahlt werden sie vom HSV, das finde ich sehr gut und sehr großzügig", sagt Jegminat. Den Vorsitzenden Bernd Hoffmann und Vorstandsmitglied Oliver Scheel kennt er persönlich. Beim HSV-Deaf-Fanclub ("Deaf" ist das englische Wort für "gehörlos"), den er seit der Gründung vor fünf Jahren als Vorsitzender mit heute 131 Mitgliedern zur größten Vereinigung gehörloser Anhänger eines Fußball-Bundesligavereins gemacht hat, waren schon etliche Profis zu Gast, zuletzt Paolo Guerrero. Dessen Sturmkollege Mladen Petric hatte im April 2009 nach einem Treffen mit Jegminat beim Torjubel das ILY-Zeichen gezeigt, einen internationalen Gruß der Gehörlosen.

Nun also will der Bargteheider, dessen Kinder Christopher, 20, und Anna, 18, ebenfalls hörgeschädigt sind, im Aufsichtsrat für frischen Wind sorgen, er wirbt für sich mit jahrzehntelanger Vereinstreue und sportlicher Kompetenz. Die Spiele im Stadion, die der Dauerkarteninhaber von seinem Stammplatz auf der Osttribüne aus verfolgt, beobachtet schließlich wohl kaum ein anderer Besucher so genau wie er. Jegminat hat das Spielfeld in jeder Sekunde im Blick, aus Angst, etwas zu verpassen, denn von den Rufen der anderen Fans bekommt er nichts mit. Obwohl er gehörlos ist, genießt er die Atmosphäre in der Arena: "Die Stimmung ist einfach genial."

Auch auf dem Transfermarkt, sagt er, kenne er sich bestens aus, Jegminat aber will im Wahlkampf vor allem mit seiner Verbundenheit zum HSV punkten. "Im Aufsichtsrat sind zu viele Leute aus der Wirtschaft", sagt er, "aber zu wenige mit sportlicher Kompetenz und zu wenige mit Kontakt zu den Fans, zur Basis. Es müssten vier aus jedem dieser drei Bereiche sein." Am 9. Januar werden vier Plätze im Aufsichtsrat frei, 21 Kandidaten haben eine Bewerbung eingereicht. "Ich denke da eher bescheiden und glaube nicht, dass ich es schaffen werde", sagt Jegminat. "Falls ich doch gewählt werde, wäre das eine wunderbare Sache." Der Stormarner, für die meisten HSV-Mitglieder ein Unbekannter, gilt als Außenseiter unter erfahrenen Unternehmern und prominenten Anwärtern wie Peter Becker, Jürgen Hunke, Ronald Wulff, Bernd Enge, Ex-Profi Carsten Kober und dem ehemaligen Volleyball-Nationaltrainer Olaf Kortmann.

Drei Jahrzehnte lang hat Jegminat selbst Fußball gespielt, zuletzt bei den Senioren des Gehörlosen SV in Hamburg. Nun ist er vor allem viel als Fan mit dem HSV unterwegs. Seine ersten Auswärtsspiele waren alles Siege, inzwischen hat er manch schmerzliche Niederlage mit ansehen müssen auf seinen Reisen nach Tel Aviv und vor allem vergangene Saison zum Europa-League-Halbfinale beim FC Fulham.

Bernd Hoffmann rät er, sich aus sportlichen Dingen herauszuhalten

Warum es im Moment nicht läuft bei dem Traditionsklub, vermag er nicht zu sagen, rät aber dazu, an Armin Veh festzuhalten: "Das ist ein guter Trainer, man sollte ihm Zeit geben." Und noch einen Wunsch hat er an den Vorsitzenden Hoffmann. "Auf der menschlichen Ebene habe ich sehr großen Respekt vor ihm", so Jegminat, "aber ich denke, dass er sich aus den sportlichen Dingen lieber heraushalten sollte."

Der HSV ist für Jegminat vor allem auch ein Universalsportverein, "Profis und Amateure gemeinsam unter einer Flagge". Zu seinen Stadionführungen begrüßt er regelmäßig bis zu 15 Teilnehmer, er fühlt sich als Botschafter der Gehörlosen beim HSV. Nun will er mehr tun, deshalb feilt er noch an Verbesserungen seiner Rede, bis er sich auf der Mitgliederversammlung erneut vorstellen wird, dann vor einem deutlich größeren Publikum. Am Schluss, hofft er, werden seine Zuhörer nicht nur die Arme nach oben strecken und mit den Händen wackeln, sondern später auch ein Kreuz hinter seinem Namen machen. Auf dem Stimmzettel.