Reinbek. Die 26-Jährige will mit ihren Texten auch für mehr Verständnis für ADHS werben. So kam sie zu der neuen Lyrik-Form.

Das heftige Lampenfieber ist schon da, dabei ist noch nicht mal ihr Text komplett: Julia August (26) besucht gerade ihren Vater in Reinbek und freut sich darauf, dass er sie am Dienstagabend auch einmal auf der Bühne erleben wird. Denn die Pharmazeutisch-Technische Assistentin (PTA) stellt sich am Dienstag, 21. Februar, ab 19.30 Uhr als Wortakrobatin beim Sachsenwald-Slam der Öffentlichkeit.

„Beim Poetry-Slam werden die Texte und nicht die Personen, die sie geschrieben haben und vortragen, bewertet. Das gefällt mir“, erzählt die junge Frau. Sie selbst sei ein Neuling in der Szene, in Reinbek trete sie nach Bremerhaven und Bremen gerade zum dritten Mal auf. Die Freundin ihres Vaters hat sie auf die Idee gebracht, dass sie doch auch einmal im Schloss auftreten könnte. Als gebürtige Geesthachterin sei sie dort schon immer gern gewesen – „allein wegen des Freizeitbades“, erinnert sie sich lächelnd. Heute lebt sie mit ihrem Freund in Jever.

Julia August tritt beim Sachsenwald-Slam in Reinbek auf

„Beim ersten Auftritt wollte ich eigentlich nur eine Bekannte begleiten und machte spontan selbst mit“, sagt Julia August. Kurze Texte aus ihrem persönlich erlebten Alltag, die sich beispielsweise um ihr Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADHS), um ihren Vornamen oder auch um den „Alibi-Kaffee“ für die Pause drehen, hatte sie da bereits geschrieben. Videos, die sie zuvor von Slams gesehen hatte, hatten sie fasziniert: „Ich wollte meine Erfahrungen und Geschichten genauso präsentieren können.“

Denn beim Poetry-Slam tragen die Autorinnen und Autoren ihre eigenen, maximal sechs Minuten kurzen Texte vor und treten gegeneinander an. Die Jury ist das Publikum. Auf der Bühne ist jeder willkommen, die oder der sich traut. Mit der Traute ist das so eine Sache: „Ich habe starkes Lampenfieber“, verrät Julia August. „Gleichzeitig ist es aber sehr erfüllend, wenn ich mich überwunden habe, öffentlich aufzutreten. Mir geht es nicht um den Wettbewerb, mir geht es nur darum, mich auszudrücken. Denn ich habe Spaß daran, meine Emotionen zu teilen.“

Um Verständnis für ADHS, Autismus und Co. werben

Eine Motivation sei für sie auch, für einen neurodiversen Blick zu werben. Also dafür, dass ADHS, Autismus oder auch Rechen- und Lesedefizite eben nicht als Mangel oder Störung, sondern als Teil der menschlichen Entwicklungsbandbreite begriffen werden. „In der Poetry-Slam-Szene fühle ich mich sehr aufgenommen“, stellt die Jeveranerin fest. „Bei meinen Auftritten merke ich an den Reaktionen des Publikums, ich bin doch nicht allein mit meinen Sorgen und Problemen.“

Schon als Jugendliche habe sie gern Gedichte geschrieben, fühlte sich aber nie gut genug. „Mein Lieblingsgedicht ist von Emily Dickinson“, erzählt die 26-Jährige, die während ihrer Jugend in Utah (USA) gelebt hat: „If I can stop one heart from breaking – Kann ich nur ein Herz am Brechen hindern.“ Beruflich hat es sie in eine ganz andere Richtung gezogen. Auch wenn sie eher die Gemeinsamkeiten sieht: „Als PTA brauche ich auch viel Empathie und Kommunikationsvermögen“, erklärt sie.

Jedes Quartal ein Sachsenwald-Slam mit Victoria Helene Bergemann

Am Dienstag ab 19.30 Uhr werden nicht nur Julia Augusts Vater und dessen Freundin im Publikum sitzen, sondern auch ein Teil ihrer Familie aus Geesthacht. Wenn sie daran denkt, steigt Julia Augusts Nervosität schon wieder. „Da treten einige richtig gute Leute auf“, berichtet sie und verzieht leicht das Gesicht – Zeit, wieder an ihren Texten zu feilen. Gut, dass die Solidarität unter den Slammern stark sei und es kein Konkurrenzdenken gebe.

In Reinbek hat die Kunstform des Poetry-Slam eine lange Tradition. Aktuell lädt das Kulturzentrum gemeinsam mit Reinbeker Slammerin Victoria Helene Bergemann jedes Vierteljahr zum Sachsenwald-Slam ins Reinbeker Schloss ein. Am 21. Februar treten unter anderem auch das Duo Uhrzeigersinnlos aus Kiel (Tim Jürgensen und Christina Müller), Tilmann Döring, Antonia Josefa und Matti Linke (alle aus Hannover) sowie Luke Monis und Klara Györbiro (beide aus Hamburg) auf. Karten für 7 Euro gibt es an der Kulturkasse in der Stadtbibliothek unter Telefon 040/72 75 08 00 oder an der Abendkasse.