Von Anne Müller

Reinbek.
"Soll ich diese Tür wirklich öffnen?" Inga Burmeister gruselt es. Was mag sich hinter der schweren Eisenklappe verbergen, vermutlich ist sie seit mehr als 30 Jahren verschlossen. Dann nimmt sich die Rathaus-Sprecherin doch ein Herz und stemmt den staubigen Hebel hoch. Dahinter ist nichts als ein großes, schwarzes Loch. Erst im Lichtkegel der Taschenlampe ist ein Schacht zu erkennen, der etliche Meter in die Tiefe führt. Ganz unten leuchtet eine zweite rote Klappe. "Da steige ich aber nicht herunter", sagt sie entschlossen. Das muss sie auch nicht, der unterirdische Fluchttunnel, der vom Rathaus in Richtung Völckers Park führt, wurde nie gebraucht und auch nicht für seine eigentliche Funktion eingeweiht. Zum Glück, denn der Tunnel gehört zu einem Atombunker-System.

Der ABC-Bunker war eine Bauauflage

Ein Erbe des Kalten Krieges, das bei der Erweiterung des Rathauses Anfang der 70er-Jahre als Bauauflage vor allem Architekt Horst Schlund vor Herausforderungen stellte. "Die Schutzräume waren im Bauprogramm für den Architektenwettbewerb mit beschrieben", erinnert er sich. Das stellte die Planer sowohl baulich als auch finanziell und technisch vor eine knifflige Aufgabe. Vor allem, weil ein Stadtverordneter damals anregte, den Schutzraum zweigeschossig anzulegen.

Auf alten Plänen, die der Reinbeker Architekt noch in seinem Büro verwahrt, sind sie verzeichnet, die Lüftungsanlagen, drei Trocken-WC, eine Vorratskammer, ein Liege- und Aufenthaltsraum und Filtersysteme. Makaber: Auch Leichenkammern sind eingebaut. Die Belastung der Außenluft konnte an einer Messstation ermittelt werden. Die Räume sollten Schutz vor chemischen und biologischen Kampfstoffen sowie radioaktiver Strahlung bieten. Ein Befehlsstand ist eingetragen. Im Ernstfall sollten hier in der "Kommandozentrale" wohl der Bürgermeister und Spitzenbeamte Zuflucht finden. Ein solches Szenario ist glücklicherweise nie eingetreten.

Wie viele Menschen in dem 252 Quadratmeter großen, mit 30 Zentimeter dicken Betonwänden umgebenen Räumen Platz finden konnten, ist nirgends verzeichnet. Auch Schlund weiß es nicht. Der Rohbau mit funktionierender Sicherheitstechnik wurde zwar errichtet, aber möbliert wurden die unheimeligen Räume zwischen kalten Betonwänden nie.

Zwei schwere Eisentüren führen im Rathauskeller noch heute in den Bunker. Allerdings dient er zivilen Zwecken, als solide, brandsichere Archiv-Anlage. Das war auch bei der Planung schon so angelegt, um in den Genuss der vollen Förderung zu kommen, wie ein Akten-Protokoll vom 29.9.1970 dokumentiert. So wurden Schutzanlagen als strahlengeschützte Bauten vom Bund besonders gefördert. Der trug sogar die "zivilschutzbedingten Mehrkosten in voller Höhe, wenn die Anlage als Mehrzweckanlage anerkannt wird und als öffentlich bezeichnet werden kann". Diese Auflage wurde schließlich mit der Nutzung als Archiv erfüllt.

Das neue Rathaus wurde 1973 eingeweiht. Den Grundstein legte am 5. Dezember 1970 der damalige Bürgermeister Hermann Körner. Inga Burmeister ist froh, dass im Keller nun nur Akten friedlich schlummern, und zieht den Schlüssel mit dem Anhänger "Bunker" aus dem Vorhängeschloss.