Reinbek
(bz).
Als Ilka Herrmann (75) den syrischen Flüchtling Mahmod Alzian (27) bei einem Gesprächskreis in der Kursana Villa kennenlernte, zögerte sie nicht lange: Die ehemalige Englischlehrerin, die seit eineinhalb Jahren in der Senioreneinrichtung lebt, bot dem jungen Mann an, ihm beim Deutschlernen zu helfen. Seit Anfang Juni trifft sich die alte Dame zweimal wöchentlich für eine Stunde mit Mahmod Alzian und erfährt in einer Mischung aus "Deutsch, Englisch und notfalls Körpersprache", was den syrischen Flüchtling bei der Integration in seiner neuen Heimat umtreibt. "Als alter Mensch kann ich keine großen Räder drehen", sagt Ilka Herrmann. "Aber ich kann Mahmod im Rahmen meiner Möglichkeiten helfen, wieder auf die Füße zu kommen. Und so wie ich ihn erlebe, beeindruckt er mich sehr."

Mitte 2012 ist der junge Mann mit seiner Familie vor dem Bürgerkrieg aus der syrischen Hauptstadt Damaskus ins Nachbarland Libanon geflohen. Zwei Jahre Studium in Betriebswirtschaft und Personalmanagement lagen hinter ihm. "Eigentlich habe ich schon immer davon geträumt, in Deutschland zu studieren", sagt Mahmod Alzian. "Ich komme aus einer weltoffenen Familie und fühlte mich vom westlichen Lebensstil angezogen. Da es im Libanon keine Perspektive für mich gab, habe ich alles daran gesetzt, nach Europa zu kommen."

Zwei Jahre arbeitete Mahmod Alzian in mehreren Jobs, um Geld für seine Flucht zu sparen. 2014 wagte er mit anderen Flüchtlingen von Libyen aus die Fahrt übers Mittelmeer. Das Boot trieb drei Tage lang auf dem Meer, bis die Insassen von einem Tanker gerettet wurden. "Ich wusste, dass die Überlebenschancen fifty-fifty stehen", sagt er. "Aber es gab für mich keine Alternative."

Vor acht Monaten ist Mahmod Alzian in die Flüchtlingsunterkunft am Krabbenkamp nach Reinbek gekommen, seit sechs Monaten nimmt er zweimal wöchentlich am Deutschunterricht teil. Mit ungeklärtem Bleiberecht darf er nicht arbeiten, doch Mahmod Alzian ist unermüdlich ehrenamtlich im Einsatz: Er engagiert sich in der Kleiderkammer, unterstützt das Team vom "Filmring"-Programmkino und packt beim internationalen Treff im Juz mit an. Zweimal in der Woche ist er in der Kursana Villa aktiv, um die Bewohner bei Freizeitaktivitäten zu unterstützen. "Ich erwarte keine Hilfe", sagt Mahmod Alzian. "Vielmehr möchte ich aus Freude darüber, dass ich hier sein darf, meine Hilfe anbieten."

Mit Ilka Herrmann hat er nicht nur über die traumatischen Erlebnisse seiner Flucht geredet. Er bespricht mit der alten Dame auch, wie seine Zukunft aussehen könnte, wenn er in Deutschland Asyl bekommt: Kann er dann andere Flüchtlinge als Dolmetscher unterstützen, eine Ausbildung zum Altenpfleger machen oder sein Studium fortsetzen? "Ich wünsche mir ein einfaches Leben", sagt er. "Und sobald ich Geld verdienen darf, möchte ich meine Eltern im Libanon unterstützen. Sie haben durch den Krieg alles verloren."

Ilka Herrmann weiß aus eigener Erfahrung, was ein Neuanfang als Kriegsflüchtling bedeutet: 1945 hat ihre Familie Haus und Grundbesitz in Mecklenburg verloren und in Schleswig-Holstein bei null anfangen müssen. Außerdem hat sie in Südafrika gelebt und kennt die Schwierigkeiten, in einem fremden Land heimisch zu werden. "Ich wünsche mir, dass sich mehr Leute auf die Flüchtlinge einlassen, statt sich von Vorurteilen leiten zu lassen", sagt sie. Ihr selbst habe das Tagebuch, dass Mahmod Alzian auf seiner dramatischen Flucht geführt hat, die Augen geöffnet. Am liebsten möchte sie es mit ihrem jungen Schützling ins Deutsche übersetzen und der Öffentlichkeit zugänglich machen: "Nach allem, was Mahmod erlebt hat, kann ich nur darüber staunen, wie positiv er ist."