Wentorf
(lr).
Einsam hängt eine bunte Weltkarte an der kahlen Wand. Eines der wenigen Dinge, die daran erinnern, dass am Fritz-Specht-Weg bis vor zwei Jahren noch Schüler Geografie lernten. Schon bald verliert die leer stehende Hauptschule ihren ursprünglichen Zweck vollständig: Die vielen Gitterbetten, die nach und nach in den Klassenräumen verteilt werden, deuten an: Hier sollen Flüchtlinge einziehen. Aktuellen Prognosen nach muss Wentorf in diesem Jahr 128 Flüchtlinge unterbringen - die Möglichkeiten der Gemeinde sind jedoch nahezu ausgeschöpft.

"Der Druck auf uns ist immens", sagt Bürgermeister Matthias Heidelberg. Aus der Not heraus greift Wentorf also zu einer Maßnahme, die ähnlich ungewöhnlich ist, wie die des Nachbarn Reinbek: Dort hat die Verwaltung im März eine Flüchtlingsfamilie im Rathaus untergebracht. In Wentorf sind es aber nicht Verwaltungsbeamte, die sensibel mit neuen Mitbewohnern umgehen müssen, sondern minderjährige Schüler.

Nur wenige Meter neben der alten Hauptschule werden zwei Jahrgänge des Gymnasiums in Containern unterrichtet, in der Hauptschule selbst nutzen sie einige Fachräume. Heranwachsende, die mit teils schwer traumatisierten Kriegsflüchtlingen bislang nicht in Kontakt gekommen sind und nun Tür an Tür mit ihnen lernen, ihnen täglich auf Flur und Schulhof begegnen. "Das ist eine besondere Situation", sagt Heidelberg. "Es kann theoretisch zu Reibereien kommen." Davon ausgehen wolle er aber nicht. Er habe mit den Schülern gesprochen und sie um Rücksicht gebeten - das gelte natürlich ebenso für die Flüchtlinge. Ein Sozialarbeiter der Awo, der sich künftig um sie kümmert, soll darauf ein Auge haben. "Im September setze ich mich noch mal mit den Schülern zusammen, um zu hören, wie es läuft", versichert Heidelberg.

Der Gang in den ersten Stock führt ihn vorbei an einer langen Wand, an der sich von Schülern gemalte Plakate aneinander reihen. "Willkommen" in verschiedenen Sprachen steht auf einem. "Hand in Hand" auf einem anderen, verziert mit dem Victory-Zeichen. Heidelberg stimmt das optimistisch: "Die Botschaft ist doch ganz eindeutig."

Im ersten Stock sollen die rund 50 Flüchtlinge leben und schlafen. Acht Klassenräume hat die Gemeinde mit je sechs Betten, sechs Spintschränken, Kühlschränken und einem Tisch mit Stühlen ausgestattet. Die Einrichtung ist spartanisch und kalt. 190 000 Euro haben Umbau, Küche, Möbel und Warmwasserleitung für die Duschen gekostet. Heidelberg umschreibt es wohlwollend mit dem Wort "funktional" und räumt ein: "Der Standard ist das nicht."

Damit trifft er ein Thema, das bundesweit für Diskussionen sorgt. Denn einen Standard für Flüchtlingsunterkünfte gibt der Bund nicht vor. Die Unterbringung ist Ländersache - und die tun sich denkbar schwer damit, verbindliche Vorgaben festzulegen. Sie formulieren dagegen nur zahlreiche Empfehlungen. Einige davon erfüllt die Unterkunft in der alten Hauptschule nicht. "Aber das, was die Flüchtlinge zum Leben brauchen, ist vorhanden", ist Heidelberg sicher.

"Es kann theoretisch zu Reibereien kommen." Matthias Heidelberg, Bürgermeister