Von Katrin Bluhm

Reinbek
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Das Haus an der Bahnhofstraße 9 hat illustre Gäste gesehen. Das fand Testamentsvollstrecker Joachim Bonk heraus, während er dafür sorgte, dass der letzte Wille von Irmgard Herzog erfüllt und das Vermögen an die rechtmäßigen Erben übergeben wird. "Die gibt es", weiß er entgegen aller Gerüchte, dass die kinderlose verstorbene Seniorin wohl keine Erben habe. Auch sei sie vor zwei Jahren nicht im Alter von 106 Jahren verstorben, wie man sich erzählt, sondern war erst 79-jährig, stellt der Rechtsanwalt richtig.

Beeindruckt hat ihn die Geschichte des Hauses. "Wir haben die Architektenpläne aus dem Jahr 1893. 'Neubau eines Familienhauses' überschreiben die Hamburger Architekten Krausz und Minck ihre Zeichnungen", berichtet Joachim Bonk. In Auftrag gegeben wurde es von Heinrich Kiehn, der seine just angetraute Ehefrau ins Haus führte, wie eine verblichene Fotografie belegt. Verspielte Türmchen, viele Balkone und noch mehr geschnitzte Giebelverzierungen, die es nicht mehr gibt, zeigen Fotos und Pläne. Im Vorgarten plätscherte fröhlich ein Springbrunnen.

"Das Glück dauerte wohl nicht lang an. Die Erbauerfamilie erlitt einen Vermögensverfall", sagt Bonk. So kamen Haus und Grund in den Besitz einer Familie Köhler, belegt durch einen Grundbucheintrag aus den 1930er-Jahren. Damals wird auch das lebenslange Wohnrecht für Ottilie, Anita, Pauline, Rosine Köhler gemeinsam mit Willi Köhler, vermutlich ihr Bruder, verbrieft. Ottilie, genannt "Tilly", und Willy sind Verwandte der verstorbenen Irmgard Herzog, geborene Köhler, adoptierte Hardenfeldt. Tilly freundete sich offensichtlich mit "Kuni", dem Sohn von Georg Hauptmann an.

Georg Hauptmann, der älteste Bruder von Gerhart Hauptmann, wohnte 1894 in der Villa. Das belegt das 1946 erschienene Büchlein "Gerhart Hauptmann Hamburgensis" von Dr. Willy Krogmann. Er beschreibt, dass der kränkelnde Georg von Bergedorf nach Reinbek zog und hier von Gerhart besucht wurde. Georg konnte sich die Miete nicht lange leisten und zog nach Wentorf. Mit einer wehmütigen Zeile hat Georgs Sohn "Kuni" Tilly das Buch "als Erinnerung auch an unsere Jugend" vermacht.

1957 erbt die junge Irmgard schließlich das Anwesen. Eine Nachbarin erinnert sich: "Sie war eine hübsche große, blonde Frau." Diese heiratet später Fritz Herzog, einen Waffennarren. Doch das Glück hielt nicht. Er nahm sich Mitte der 1990er-Jahre das Leben.

Die Seniorin umgab sich gern mit schönen Dingen. An die zehn Stunden hat Testamentsvollstrecker Joachim Bonk gebraucht, um das Inventar zu dokumentieren. Das meiste wurde unlängst verkauft, genauso wie das Haus. Es ist in den Besitz einer Familie gegangen, die sich dafür einsetzt, dass das historische Ansehen der Bahnhofstraße erhalten bleibt, versichert Bonk. Selbst nutzen wird sie das Haus wohl nicht.