Terre des Femmes Heidemarie Grobe (70) setzt sich seit Jahrzehnten für Frauenrechte ein

"Ich bin die Fachfrau für Gewalt." Ein Satz, der einiges über Heidemarie Grobe sagt: Die 70-jährige Reinbekerin setzt sich seit 1992 in der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes (Welt der Frauen) für die Opfer von Gewalt ein, besonders für die Opfer von Genitalverstümmelung, aber auch für die von sogenannten "Ehrenmorden", für zwangsverheiratete Frauen oder Zwangsprostituierte. Für ihr Engagement wird Heidemarie Grobe jetzt für den Bergedorfer Bürgerpreis nominiert.

"Andere sagen oft: 'Du bist eine starke Frau'", erzählt sie. "Die sind froh, dass ich mich dieser schweren Themen annehme. Aber das ist ein Stück weit auch mein Naturell. Es ist gut, sich immer wieder den Realitäten auszusetzen."

Nach dem Abitur an einer Mädchenschule erlebt Heidemarie Grobe im Studium die ersten Unverschämtheiten durch Professoren, die den Frauen intellektuell weniger zutrauen als den männlichen Studenten. "Es ist schon richtig, dass die Klausuren heute teilweise anonymisiert werden", stellt sie fest. "Die Soziologie hat meinen Horizont erweitert. Nicht nur, was mein Rollenverständnis angeht, sondern auch in Jura, Volkswirtschaft und Sozialpolitik." Sie wird Oberstudienrätin in Hamburg, nennt das ihren "Brotberuf".

Als sie 1972 zum ersten Mal von weiblicher Genitalverstümmelung liest, kann sie es nicht glauben. "Es tat mir körperlich weh", erinnert sie sich. Zu dieser Zeit beginnt sie außerdem, sich politisch zu organisieren. 1968 tritt sie in die SPD ein, 1972 wird die Soziologin Mitglied im Akademikerinnenbund. "Damals war das für mich genau der richtige Ort, ich habe dort spannende Frauen kennengelernt", sagt sie. Als sie beginnt, sich immer mehr mit dem "Hardcore-Thema Gewalt gegen Frauen" auseinanderzusetzen, bekommt sie immer mehr Kontakt zur Menschenrechtsorganisation Terre de Femmes. Als sie dort zur Jahrtausendwende Mitglied wird, tritt sie konsequenterweise aus dem Akademikerinnenbund aus.

"Irgendwie ging das über 40 Jahre lang alles gut: meine Familie mit drei Kindern, mein Brotberuf und mein Ehrenamt", erzählt sie fast ein wenig verwundert. In ihrem Mann Bodo Göttsche findet sie einen ebenbürtigen Partner, der sie nicht nur in ihrer Berufstätigkeit, sondern auch in ihrem Engagement selbstverständlich unterstützt. "Er hat auch meine Frauenthemen immer verstanden."

Ihre Aufgabe sei immer die Öffentlichkeitsarbeit und Information über die schwierigen Themen gewesen. Dafür hat Bundespräsident Joachim Gauck ihr 2013 auch das Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik verliehen. "Mein Platz ist hier", stellt sie fest. "Als ich mein erstes kleines Mädchen zur Welt gebracht habe, habe ich es als großes Glück empfunden, hier zu leben. Wie gut es war, dass hinter mir keine Mutter oder Schwiegermutter steht, die mich drängt, mein Mädchen verstümmeln zu lassen."

Der familiäre Druck in den betroffenen Kulturen sei so immens, dass die Mütter sich kaum dagegen wehren können. In fast allen Ländern sei die Genitalverstümmelung verboten, werde aber mangels Kontrolle weiter praktiziert. Als Begründung für die Verstümmelungen müssten Mythen herhalten. "Dabei geht es immer um die Angst vor einer wilden, weiblichen Sexualität", erklärt Heidemarie Grobe. Die sei mit der Ehre des Mannes nicht vereinbar.

Eine Gewöhnung gegen all die Schrecklichkeiten, die sie auch von Fotodokumenten kennt, gebe es nicht. "Aber es gibt Initiativen, die kämpfen um jede Frau - und sie retten auch einige." Ihr persönlich helfe auch die Kunst. "Da geht mir das Herz auf. Die Kunst hat Heilungscharakter. Neben der Familie gibt auch sie mir ein gutes Fundament."