85-jährige Tradition aus Altersgründen beendet

Die Telefonnummer 7 22 55 78 ist nicht mehr zu erreichen. Nachdem sie im vergangenen Jahr noch 85-jähriges Bestehen feierten, haben Siegfried und Elke Weichmann (beide 76) ihr renommiertes Radio- und Fernsehgeschäft am Schmiedesberg geschlossen.

"Die Kinder hatten schon ein paar Mal gemahnt, wir sollten doch endlich in den Ruhestand gehen", sagt der Pensionär und schmunzelt. Leicht ist es ihm nicht gefallen, mit der Tradition zu brechen. "Mein Vater hat das Geschäft 1929 in Willenberg, in Ostpreußen, begründet. Er war ein Tausendsassa", schwärmt er von Vater Georg. Der startet mit dem Verkauf von Detektoren, Nähmaschinen und der Herstellung von Batterien. Der Krieg führt ihn 1944 in die Wentorfer Kaserne. Dorthin holt er im Frühjahr 1945 seine Frau und die drei Jungs.

1946 knüpft Georg Weichmann an seine Geschäftsidee an und ist der erste Radiohändler in Wentorf. Fahrräder und Nähmaschinen bietet er an der Hauptstraße 4 auch gleich mit an. "Unser Kundenstamm reichte von Schwarzenbek bis Lütau. Vielfach wurde gegen Naturalien getauscht", erinnert sich Sohn Siegfried. "Mein Vater hat sogar ein Teilzahlungssystem erdacht. In Wentorf strandeten viele Flüchtlinge. Sie durften in Fünf-Mark-Raten zahlen."

Er lernt ab 1954 bei seinem Vater, verkauft und repariert Radios. Sonntags wird mit dem Moped mit Anhänger ausgeliefert. Weichmanns zeigen im Schaufenster über die ersten Fernseher Filme. Sie bauen Antennenanlagen, und Siegfried ist eine tragende Säule des Unternehmens, als Georg Weichmann 1958 das Geschäftshaus am Schmiedesberg ersteigert und mit der Familie nach Reinbek umsiedelt. Mittlerweile hat der Junior und begeisterte TSG-Handballer seine Frau Elke auf dem Sportplatz kennengelernt. Später werden zwei Töchter geboren.

"1958 war der Schmiedesberg die Haupteinkaufstraße mit drei Bäckern, Gemüse- und Fischladen, Milchmann, Uhrmacher und Textilgeschäft", sagt der Pensionär. "Niemand nahm damals ein Gerät aus dem Laden mit nach Hause. Wir haben geliefert, aufgebaut und angeschlossen", erinnert sich Weichmann, der das Geschäft, nach dem plötzlichen Tod des Vaters im Jahr 1972, mit seiner Frau weiterführt.

Das war eine andere Zeit, in der Radios magische Augen und nur wenige Wellenbereiche hatten, dafür aber diverse Röhren und nur einen Lautsprecher. Radios wie die "Philetta", die Weichmann noch heute aus dem Effeff kennt.

Bis in die 1970er-Jahre reicht der Boom der Fernsehgeräte, die so robust waren, dass Weichmann sogar bei der Flutkatastrophe 1962 überschwemmte Geräte vom Schlamm freispülen und funktionstüchtig an ihre Besitzer zurückgeben konnte. Satelliten-, Video- und Hifi-Anlagen sowie Elektrokleingeräte komplettieren mit einem ausgezeichneten Reparaturservice das Angebot, dem heute viele nachtrauern. Doch Weichmann hat für seine Kunden gesorgt. Radio Heitmann in Bergedorf übernimmt die Reparaturen und Garantiearbeiten.

Langeweile wird es im Hause Weichmann nicht geben. "Er bringt jetzt das Haus auf Vordermann", sagt Elke Weichmann. Sie will noch mehr Gemüse ziehen, wenn er das vor kurzem abgebrannte Gewächshaus repariert hat.