Verbrauchertipp: Vorsicht bei Werkaufträgen: Jeder kann sich als Maßschneider selbstständig machen

Christa Hagemann hatte sich das so schön vorgestellt: Zur Habilitationsfeier ihres Sohnes wollte die 83-Jährige in einem besonders schicken Outfit erscheinen. "Ein bordeauxrotes Kostüm mit Schalkragen schwebte mir vor", erklärt die stolze Mutter. Sie ließ sich in einer Schneiderei beraten und dort schließlich auch Rock und Blazer anfertigen.

Doch als sie den vermeintlichen "Traum in Samt" anprobierte, blieb nichts als Enttäuschung: "Ich merkte sofort, dass das Kostüm überhaupt nicht saß. Als ich näher hinsah, entdeckte ich sogar Abdrücke von einem Bügeleisen auf dem Stoff und auch offene Nähte", erklärt die Wentorferin. "Das kann ich nicht anziehen, höchstens zur Gartenarbeit."

Ulf Grünke, Sprecher der Handwerkskammer, erinnert Verbraucher vor diesem Hintergrund daran, dass seit 2004 der Meistervorbehalt in vielen Gewerken aufgehoben wurde. Praktisch könne sich nun jeder als Maßschneider selbstständig machen, der sich dazu berufen fühlt, und in der Handwerksrolle eintragen lassen. Verlässliche Auskünfte über eine Qualifikation gebe lediglich der Meisterbrief.

Daniela Knüppel, Maßschneidermeisterin und Mitglied in der schleswig-holsteinischen Innung, schaut sich das "Corpus Delicti" einmal an. Sie bestätigt: "Da ist nicht mehr viel zu retten." Das Kostüm weise Schnittfehler auf, Nähte seien unsachgemäß verarbeitet worden, eine Wulst am Reißverschluss deute auf misslungene Korrekturversuche hin, die Reversmündungen stimmten nicht überein und irgendetwas müsse mit der Einlage schiefgelaufen sein: "Der Rocksaum wölbt sich nach oben wie ein Entenschwanz." Knüppel zeigt auf die markante Stelle. "Ich hätte für die Anfertigung nicht mehr als eine schlappe Vier gegeben." Das Kostüm könne nicht mehr ausgebessert werden. Höchstens aus dem Oberteil sei noch eine passable Weste zu schneidern.

Aber das möchte Christa Hagemann nicht. Sie will vielmehr andere Verbraucher davor warnen, die gleichen Fehler zu begehen wie sie selbst. "Ich habe mir keine Quittung geben lassen und das Kostüm bezahlt, bevor ich es anprobierte. Obendrein habe ich es auch erst zu Hause anprobiert hatte", bedauert sie. Die Schneiderei habe sämtliche Reklamationen zurückgewiesen. "Die 800 Euro, die ich für das Kostüm bezahlt habe, sehe ich wohl nie wieder", ärgert sich die Seniorin. "Ich dachte, ich hätte mein Kostüm bei einer Expertin bestellt."

Handwerkskammer bietet Schlichtungsstelle

Das habe sich nach Recherchen durch einen befreundeten Anwalt als falsch erwiesen. "Sie war in der Handwerksrolle nicht als Maßschneiderin eingetragen." Für das Maßschneidern brauche man aber eine spezielle Ausbildung, sagt Daniela Knüppel, Atelier-Eigentümerin aus Fockbek bei Rendsburg. Sie empfiehlt den Kunden, sich immer den Meisterbrief zeigen zu lassen. "Da kann man auf einen gewissen Standard vertrauen. In guten Maßschneidereien hängt der Meisterbrief meist aus."

Ulf Grünke weist darauf hin, dass der Gesetzgeber Verbrauchern einen "bunten Strauß" an rechtlichen Möglichkeiten bietet, sich in so einem Fall zivilrechtlich zu wehren. Auftraggeber und -nehmer gehen einen Werkvertrag miteinander ein. Die Wentorferin hätte das Recht auf eine Nachbesserung.

In strittigen Fällen bietet die Handwerkskammer eine Vermittlungsstelle (vermittlungsstelle@hwk-luebeck.de) an, an die sich unzufriedene Kunden schriftlich wenden können. Ziel sei es, eine gütliche Einigung zu erzielen, allerdings habe die Kompromissbereitschaft in den vergangenen Jahren auf beiden Seiten drastisch abgenommen, habe er festgestellt.