Bismarcktürme: Neuer Bildband beschreibt ein Kuriosum der Baugeschichte

Viele sonntägliche Familienausflüge führten Jörg Bielefeld (48) in seiner Kindheit zum steinernen Riesen auf der Seilerkuppe. "Ein faszinierender Turm", erinnert er sich an den Koloss im sauerländischen Iserlohn. Dass das Bauwerk in ganz Deutschland und sogar im Ausland mehrere Doppelgänger hat, entdeckte er erst in den 1990er-Jahren. Seit einer Reise nach Dresden war er dann auf immer mehr ähnliche Türme gestoßen und damit auf die Spur eines Kuriosums in der deutschen Baugeschichte. 240 Bismarcktürme entstanden Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. 146 davon stehen heute noch. Ihrer Geschichte gehen Jörg Bielefeld und der Fotograf Alfred Büllesbach in einem jetzt erschienenen Bildband (siehe unten) nach. Knapp 140 historische Bilddokumente und rund 100 aktuelle Landschafts- und Architekturaufnahmen vermitteln den einzigartigen Bau-Boom der Bismarcktürme und den damaligen Zeitgeist.

Der Grundstein für den Personenkult wurde in Friedrichsruh gelegt. Hier residierte der ehemalige Reichskanzler Otto von Bismarck (1815-1898) im Sachsenwald, der ihm für seine Verdienste 1871 von Kaiser Wilhelm I. geschenkt worden war. 1890 führten Meinungsverschiedenheiten mit dessen Nachfolger, dem seit knapp zwei Jahren amtierenden Kaiser Wilhelm II., zu Bismarcks Entlassung. Unter den Studentenschaften, die Bismarck als "Abgott der deutschen Jugend" stilisierten, habe das eine Protestwelle ausgelöst, erläutert Bielefeld.

Lichternetz aus Feuersäulen sollte gespannt werden

Die Idee, mit Feuerschalen auf Säulen ein Lichtnetz über Deutschland zu spannen, das zu Bismarcks Geburtstag am 1. April und zur Sommersonnenwende am 21. Juni den Nachthimmel erleuchten sollte, wurde nach dem Tod Bismarck 1898 in einem Wettbewerb der Studentenschaften geboren. Die Bonner Burschenschaft Alemannia regte das in einem Aufruf an.

Auch auf dem "Bismarckturm Friedrichsruh" in Reinbek-Silk loderten meterhohe Flammen, wie eine Sammelkarte zeigt, die in den 20er-Jahren einer Schokolade beigelegt war. Der Turm ist heute im Besitz der Familie von Bismarck. "Und leider in einem schlechten Zustand", hat Bielefeld bei einem Besuch feststellen müssen. Zum Besteigen waren die bis zu 50 Meter hohen Säulen übrigens nicht gebaut. Auch der Turm bei Silk hat im Inneren nur eine provisorische Treppe, die zur Feuerschale führt. "Viele Türme wurden allerdings im Laufe der Zeit von Fördervereinen oder Gemeinden übernommen und zu Aussichtstürmen umgebaut", weiß Bielefeld.

Übers Internet historische Ansichten ersteigert

Der Beamte und Autor ist inzwischen so fasziniert von der Baugeschichte, dass er selbst Mitglied in einem Förderverein geworden ist. Eindreiviertel Jahre hat er für das Buch recherchiert. "Ein Riesenfundus war das Archiv der Burschenschaft Alemannia in Bonn", beschreibt er die Arbeit. Aber auch in vielen Gemeindearchiven habe er gestöbert. Und nicht zuletzt das Internet hat viele historische Schätze zum Vorschein gebracht, die jetzt im Buch abgebildet sind. In seinem Privatarchiv hat er mehr als 1000 Ansichten und Postkarten sortiert. "Alle bei Ebay ersteigert." Auch Sieglinde Seele, Mitautorin eines Standardwerkes, hat ihm ihr Archiv überlassen.

Die ersten Türme entstanden übrigens bereits zu Lebzeiten des Eisernen Kanzlers. "Er war erst dagegen, dass Denkmäler für ihn gebaut wurden, hat sich aber letztlich für die Türme bedankt", so Bielefeld. Die zogen auch Alfred Büllesbach (53) in ihren Bann. Als er 2007 im Hunsrück fotografierte, hinterließ der Bismarckturm bei Sargenroth einen nachhaltigen Eindruck bei dem Fotografen und Geschäftsführer der Hamburger Bildagentur Visum: "So ein inmitten hoher Bäume stehender, wuchtiger Koloss, der außerhalb der nächsten Ortschaft und zudem ohne erkennbaren Grund gebaut wurde, gibt jedem Besucher erst einmal Rätsel auf."

Im Internet stieß er dann auf die skurrile Geschichte der Türme und die Internetseite von Jörg Bielefeld. Die Idee für ein gemeinsames Buch entstand.

"Bismarcktürme - Architektur, Geschichte, Landschaftserlebnis", Jörg Bielefeld und Alfred Büllesbach, 180 Seiten, 240 Abbildungen, ISBN: 978-3-943915-08-2, 28 Euro, morisel.