Zusammenhalt: Nach Messerattacke vor der Kirche zweifelt niemand an Hilfe für die Männer aus Mali

. Der Schock saß zunächst tief, als am 6. November ein junger Flüchtling (29) aus Mali einen Landsmann (31) mit einem Messer vor der gemeinsamen Unterkunft in der Nathan-Söderblom-Kirche am Täbyplatz lebensgefährlich verletzt hatte. Ein nichtiger Streit im Deutschunterricht war derart eskaliert, dass am Ende des Tages, wie berichtet, die Mordkommission Lübeck ermittelte.

Die Tat hatte viele in der Kirchengemeinde zunächst sprachlos gemacht. "Ich habe den Täter als friedlichen, hilfsbereiten und tiefsinnigen Menschen kennengelernt. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass so etwas passiert", sagte Pastorin Barbara Schöneberg-Bohl vor dreieinhalb Wochen in einer ersten Reaktion. Jetzt weiß sie: Ihre Gemeinde hält zusammen, auch wenn sie mit negativen Nachrichten Schlagzeilen macht. Denn die Flüchtlinge sind seit April Teil der Gemeinschaft und sollen es auch bleiben. "Niemand in der Gemeinde hat das Projekt nach der Tat infrage gestellt. Keiner ist hysterisch geworden oder hat sich negativ geäußert", hat auch Ingo Werth festgestellt. Der Bergedorfer kümmert sich im Namen von "Fluchtpunkt Bergedorf" um die jungen Männer, ist eine ihrer engsten Bezugspersonen. Die Gruppe der jungen Flüchtlinge hat zusammen mit ihm und einem Sozialarbeiter mit afrikanischen Wurzeln das Geschehene aufgearbeitet. "Ich habe das Gefühl, dass die Situation stabil ist. Der Verletzte ist nach seiner Entlassung herzlich in der Gemeinschaft aufgenommen worden. Es ist wieder Alltag eingekehrt. Die Männer leben und lernen zusammen, kochen gemeinsam, unternehmen etwas", so Werth. Auch nach der Tat hat er Kontakt zu dem Täter, der in der JVA Lübeck in Untersuchungshaft sitzt. "Er ist todtraurig über das, was geschehen ist", weiß Werth.

Pastorin Barbara Schöneberg-Bohl spürt bei den jungen Flüchtlingen Scham. "Dieses Wort haben sie sogar im Wörterbuch nachgeschaut, um zu erklären, wie es ihnen geht. Sie sind beschämt darüber, dass in ihrem Kreis so etwas passieren konnte", so die Pastorin. Darüber hinaus sei es schwierig, die Gefühlslage der Männer einzuschätzen. Es sei im afrikanischen Kulturkreis eher ungewöhnlich, über Emotionen zu sprechen. Möglicherweise sei dies auch der Grund, warum niemand bemerkt hatte, dass es dem Täter nicht gut ging und sich eine Menge Druck aufgebaut hatte. "Ich möchte die Tat auf keinen Fall entschuldigen. Sie ist abscheulich. Aber natürlich haben wir uns auch Gedanken darüber gemacht, wie es soweit kommen konnte", so die Pastorin.

Für die Männer ist wieder Alltag eingekehrt. Sie helfen dem Hausmeister, lernen Deutsch und hoffen, bleiben zu können. Die Gemeinde wird sie nicht allein lassen. Direkt nach der Tat hatten die Christen für alle Kerzen angezündet.