Betreuungsgemeinschaft: Neuschönningstedter Senioren wagen sich sogar aufs Heavy-Metal-Festival

Mit Kaffee und Kuchen fing 1974 alles an. Wenn sich die Mitglieder der Betreuungsgemeinschaft Neuschönningstedt heute treffen, werden zuweilen auch härtere Seiten aufgezogen. Denn wo steht eigentlich geschrieben, dass Senioren in der warmen Stube sitzen und nur Kaffeekränzchen halten sollen?

Als Helga Leder ihren Enkeln mitteilte, dass sie ein Heavy-Metal-Festival besuchen wird, konnten die es zunächst nicht glauben. "Nach Wacken?", fragten die Enkel mit großen Augen. Na klar, konterte ihre Oma. Zelten wolle sie zwar nicht, und Karten habe sie auch nicht. Aber sie sei neugierig auf das Schauspiel, das sich alljährlich zum größten Heavy-Metal-Festival der Welt in dem kleinen Dorf abspielt.

"Wir sind mit dem Bus hingefahren, haben uns unter das Volk gemischt und uns mit jungen und alten Metall-Fans unterhalten", erzählt die 75-Jährige drei Monate später zum 40-jährigen Jubiläum der Betreuungsgemeinschaft Neuschönningstedt, das jetzt gefeiert wurde. "In Wacken konnten wir Vorurteile ablegen. Trotz der schwarzen Kleidung und der langen Haare, sind die Menschen freundlich und zuvorkommend", weiß sie jetzt. Und bestätigt wie nebenbei, dass der Name "Betreuungsgemeinschaft" heute nicht mehr ganz so passen will. Die meisten der mehr als 100 bei ihr aktiven Senioren sind sehr fit, agil und an Kultur interessiert. Deshalb fühlt sich Helga Leder heute auch als Veranstalterin, nicht als Vorsitzende einer Pflegegemeinschaft.

"Eine Betreuungsgemeinschaft, die ihrem Namen entsprach, waren wir nur zu unserer Gründungszeit 1974", sagt sie. Die Senioren seien damals weniger mobil gewesen und kulturell glichen Glinde und Reinbek eher eine Wüste. "Man musste nach Hamburg reisen, um sich zu amüsieren", erzählt sie. Weil ihr Mann Seefahrer war, hatte die damals 35-Jährige zwar mit ihrem Nachwuchs viel zu tun. "Aber ich langweilte mich schnell, mein Stadtteil war wie ein verschlafenes Dorf." Kurz bevor die unabhängige Gemeinde Neuschönningstedt 1974 ein Teil Reinbeks wurde, investierte sie noch in den Bau der Begegnungsstätte am Querweg 13, das erste Gemeinschaftszentrum im Ort. Das sollte nun mit Leben gefüllt werden.

Die Arbeiterwohlfahrt (Awo) und das Deutsche Rote Kreuz (DRK), sowie die Kirchengemeinde gründeten gemeinsam die Betreuungsgemeinschaft. Heute arbeitet sie unter dem Dach der DRK und der Awo. Ziel war es, Einwohner ab 60 Jahren zusammen zu bringen, damit Einsamkeit keine Chance hat. Helga Leder entschied sich schnell dazu, ehrenamtliche Aufgaben zu übernehmen.

Die Idee fand Anklang: Zuerst trank man nur zusammen Kaffee, schnell gründeten sich drei Kegelgruppen, die sich wöchentlich trafen. Etwas ganz besonderes seien auch die Tagesausflüge gewesen. "Mal an die Nordsee fahren, das war für viele nicht erschwinglich. In der Gemeinschaft konnten wir das aber finanzieren." Gefördert wird der Verein seit jeher von der Kommune und jetzt auch von der Georg-und-Jürgen-Rickertsen-Stiftung.

Angebote, wie zweimal wöchentlich die Seniorengymnastik, um Gesundheit und Mobilität zu erhalten, oder Handarbeitsgruppen kamen schnell hinzu und bestehen bis heute. Geleitet werden die Kurse von Ehrenamtlichen wie Petra Oberlein. Bereits seit 14 Jahren hält die 61-Jährige die Senioren in Neuschönningstedt fit. Ihre Aufgabe schließt aber auch traurige Botschaften mit ein, immer dann, wenn eine Wegbegleiterin gestorben ist. "Vor vielen Jahren habe ich diese Frauen kennen gelernt und muss nun mit ansehen, wie einige von ihnen gehen", sagt Helga Leder betrübt.

Auf sie und die anderen Ehrenamtlichen wartet jährlich viel Arbeit. Lederer macht jedes Jahr den Veranstaltungskalender, andere kümmern sich um die Finanzen oder Organisation. "Und das, obwohl ich mittlerweile älter bin, als die meisten Senioren, die ich betüdele", sagt Helga Leder und lacht herzhaft. Aufhören möchte sie dennoch nicht, denn über die Zeit habe sich gezeigt: "Senioren wollen heute mehr Action. Das geht mir nicht anders." Im Sommer wird geradelt, im Winter gewandert. Auf Reisen geht es nicht mehr an die Nordsee, sondern nach Paris und Prag. Einmal waren die agilen Senioren in Cornwall unterwegs - auf den Spuren von Rosamunde Pilcher. Dort wie auch in Wacken durfte eines nicht fehlen: Kaffee und Kuchen.