Gymnasium: Zeichnen war gestern - Heute darf im Unterricht jeder seiner Kreativität freien Lauf lassen

. Wohin die Reise geht - das weiß man noch nicht. Doch dass die Gegenwart ohne Romantik, Renaissance und Barock sehr viel schmuckloser wäre, das wissen auch die Schüler der achten Klasse, die nun im Obergeschoss der Sachsenwald-Schule eine Rakete in den Kunst-Kosmos starten lassen. Das Besondere: Im Inneren des Flugobjekts sind alle Kunstepochen chronologisch eingezeichnet. Die Rakete ist das Ergebnis einer Verschönerungsaktion des Kunstraums im Obergeschoss des Gymnasiums. "Denn weiße Wände sind doch viel zu langweilig", sagt Vivian (14).

Zum Perspektivenwechsel laden Spiele ein, die fröhlich unter der Decke kleben. Die Fenster sind nun im Stil der Jahreszeiten dekoriert. Die Schülerinnen Laura, Leony, Alexandra und Feline haben in einer Nische eine künstliche Bibliothek mit Kunstbüchern entstehen lassen, in der echte Buchdeckel neben gezeichneten zu sehen sind.

Wer mit den Schülern und Lehrerin Florentine Wendel-Wolff ins Gespräch kommt, ahnt schnell: Zeichnen, das war gestern. Auch das Töpfern von Staubfängern kurz vor Weihnachten gehört der Vergangenheit an. Heute ist Kunstunterricht experimentell. Siebtklässler planen Zeichentrickfilme, in denen jeder Schüler eine Rolle spielt. Das fertige Werk nimmt später an Wettbewerben teil oder wird im Internet veröffentlicht. "Die Schüler kommen auf die unglaublichsten Ideen. Solche Aufgaben fördern zudem den Teamgeist. Denn einer allein kann einen ganzen Film nicht machen", freut sich Lehrerin Florentine Wendel-Wolff.

Ihr geht es nicht darum, die Kreativität der Mädchen und Jungen in ein Schema F zu pressen. Vielmehr ist das Ziel, dass jeder seinen eigenen Stil entwickelt und überhaupt Lust hat, seiner Kreativität freien Lauf zu lassen. Heraus kommen die kreativsten Dinge. Einmal konzipierte ein Schüler eine Maschine, die aus Kirschen gleich den passenden Sonntagskuchen zauberte. Eine andere Schülerin schaffte es, mit einem Referat über Frida Kahlo, alle mitzureißen. "Ich hatte Gänsehaut", erinnert sich Florentine Wendel-Wolff, die selbst am liebsten großformatige Tierporträts zeichnet. Ein vier Mal fünf Meter großes Hühner-Bild hängt noch heute in der Akademie der bildenden Künste in München, wo sie studiert hat.

Mit ihren Schülern verabredet sie sich auch nach Schulschluss im Museum, führt sie durch Ausstellungen und ermuntert sie, sich auch mit moderner Kunst auseinanderzusetzen. "Hier braucht man allerdings ein bisschen Wissen, damit man die neusten Werke versteht." Die Ur-Angst vieler Schüler, Fehler zu machen, endet auch nicht vor den Türen des Kunstraums. "Dabei gibt hier es gar keine Fehler, kein Richtig oder Falsch", beruhigt dann die 33-Jährige. Selbst aus einem Fleck, der im Eifer des Gefechts auf einem Bild landet, könne man was machen - erst dann beginne doch das weite Feld der Kunst.

Dieser Unterricht kommt so gut an, dass derzeit sogar doppelt so viele Schüler wie sonst ihr Abitur in dem Fach anstreben. Nicht alle wollen jedoch Künstler werden. "Aber improvisieren, kreativ und quer denken, das braucht man doch heutzutage in jedem Beruf", weiß Lehrerin Wendel-Wolff.