Tag der Kriminalitätsopfer: Organisation zu wenig bekannt

Der Stoß war unerwartet und heftig: Als die 50-jährige Frau an einer Hamburger U-Bahnstation mit einer Rolltreppe nach unten fuhr, wurde sie von Jugendlichen geschubst und fiel vier Meter tief. Die Frau stammt aus Asien und ist als Flüchtling nach Hamburg gekommen. Sie erlitt schwere Verletzungen und kam ins Krankenhaus. Allein ihren Kindern ist es zu verdanken, dass sie 14 Tage später zur Polizei ging. Die rief für sie beim Weißen Ring an. Denn die Frau hatte von der Opferhilfsorganisation noch nie gehört. Das geht vielen Opfern von Gewalt oder Kriminalität so, obwohl der Weiße Ring ihnen seit fast 40 Jahren hilft, sich um ihren Schutz und ihre Rechte kümmert. Deshalb hat der Weiße Ring den 22. März zum Tag der Opfer von Gewalt und Kriminalität ausgerufen.

"Es ist typisch für die Menschen, die unsere Hilfe brauchen, dass sie uns erst nach längerer Zeit, manchmal nach Jahren kontaktieren", sagt Rita Funke. "Das kommt gerade bei Opfern sexueller oder häuslicher Gewalt vor, weil diese Taten mit großer Scham verbunden sind." Die Aumühlerin ist ehrenamtliche Opferbetreuerin der Organisation und leitet seit 2010 die Außenstelle Stormarn. Sie nimmt die Anrufe an und verteilt sie an ihre Mitstreiter. "Bei uns verjährt keine Straftat", betont sie.

Im Bereich Stormarn hat der Weiße Ring in 2013 etwa 120 Anfragen gehabt und konnte bei 85 Fällen konkret weiterhelfen. Darunter waren 26 Menschen von sexueller Gewalt betroffen, 15 von Körperverletzung und 14 wurden bedroht. Dabei gibt es auch Überschneidungen mit häuslicher Gewalt. In Stormarn kümmern sich elf Ehrenamtliche um die Opfer.

Einer von ihnen ist Hartmut Neumeister. Er nahm sich auch der Asiatin an. Vorab übertrug er die Hilfsmöglichkeiten des Weißen Rings per Online-Übersetzer in die Heimatsprache der 50-Jährigen. "Ich habe sie zuerst zu Hause bei ihren Kindern besucht", erzählt er. "Sie sprachen gut deutsch, so dass wir uns vertrauensvoll verständigen konnten." Schnell sei deutlich geworden, dass eine Anzeige für sie die beste Möglichkeit war. Sie litt besonders darunter, sich nach der Tat verlassen zu fühlen und, dass sich die Täter nie entschuldigt hatten.

"Sie waren bekannt und noch minderjährig", erläutert Neumeister. "Deshalb wäre die Staatsanwaltschaft nicht automatisch gegen sie vorgegangen." Die Betreuer versuchen vor allem, das Opfer wieder aufzubauen. Neumeister riet ihr, selbst aktiv zu werden, die Täter anzuzeigen und einen Anwalt einzuschalten, um auch Regressansprüche gegen die Eltern geltend machen zu können. "Der Weiße Ring hilft in solchen Fällen mit einem Beratungsscheck in Höhe von 150 Euro", erläutert Neumeister. Sollte es zum Prozess kommen, würde der Ahrensburger die Betroffene auch zum Gericht begleiten.

Grundsätzlich unterstützen die Opferbetreuer im Umgang mit den Behörden, für die Überbrückung tatbedingter Notlagen helfen sie auch finanziell. Sie kümmern sich um Therapieplätze und geben Therapieschecks aus, um in akuten Krisensituationen eine schnelle Behandlung zu ermöglichen. "Größere Beträge müssen wir in der Geschäftsstelle in Mainz beantragen", sagt Rita Funke.

Nach dem Opferentschädigungsgesetz werden auch bei Spätfolgen einer Straftat noch Therapiekosten übernommen, erklärt sie. Auch die Angehörigen eines Mordopfers können sich an den Weißen Ring wenden. "Sie gelten bei uns als Opfer", sagt sie. Der Weiße Ring ist nicht nur für Betroffene von Gewalt, sondern auch von Betrug oder Einbruch da. "Auch sie müssen mit seelischen Belastungen klar kommen", so Funke.

Kostenloses Opfertelefon: 116 006