Engagement: Reinbekerin liest ehrenamtlich in der Kursana-Villa vor

Die meisten Passanten am Rosenplatz werfen im Vorbeigehen wohl nur kurze Blicke durch die Fenster der Kursana-Villa. Auf die große Freitreppe im lichten, großzügigen Foyer oder den Essenssaal, der eher an ein Viersternehotel als an ein Seniorenheim erinnert. Waltraud Morgenstern kennt keine Berührungsängste. Die 76-Jährige Reinbekerin kommt häufig auf der Straße beim Einkaufen ganz unvermittelt mit anderen Menschen ins Gespräch. "Ich habe ein Gespür dafür, wer einsam ist", sagt die ehemalige Einzelhandelskauffrau. Die kommunikative Seniorin interessiert sich für andere Menschen und auch die Schwelle der Kursana-Villa war für sie kein Hindernis. "Ich möchte der Gemeinschaft gern etwas zurückgeben und bin einfach hineingegangen."

Sie hat schon ihren zwei Töchtern vorgelesen. Das wollte sie jetzt auch für Senioren tun und stieß bei Harald Wiebusch-Simanowski gleich auf positive Resonanz. Der Leiter für die soziale Betreuung in der Residenz organisiert Freizeit, Kultur und Ausflüge für die zurzeit 75 Bewohner - von der Sitzgymnastik bis zum Indoor-Golf. Eine Dame, die von sich aus den Kontakt zu den älteren Menschen sucht, war für ihn ein Glücksfall.

Und offensichtlich auch für die Senioren. "Ich habe gar nicht mit so einer Resonanz gerechnet", sagt Morgenstern. Zuerst kamen zu den wöchentlichen Lesungen drei Bewohner. "Jetzt ist der Saal voll".

Unter den inzwischen 15 Stammgästen ist auch Helga Schreiber. Die 85-Jährige ist vor 14 Monaten in die Kursana-Villa gezogen. Das Leben im eigenen Haus der Familie in Lohbrügge, das sie 43 Jahre und zuletzt allein bewohnt hatte, war für sie zu beschwerlich geworden. Für sie ist die Runde eine gute Gelegenheit, mit anderen ins Gespräch zu kommen.

Am ehesten holt Morgenstern ihre Zuhörer mit Geschichten von "Klein Erna" aus der Reserve. Auch Sibylle Aus dem Winckel zaubern die typischen Hamburger Klein-Erna-Witze ein Lächeln ins Gesicht. Die ehemalige Krankenschwester lebt seit einem Jahr in der Residenz und freut sich über die Gesellschaft.

"Die Anekdoten lieben die Senioren heiß und innig", sagt Waltraud Morgenstern. "Platt snacken, das schafft Erinnerungen", hat sie festgestellt. Sie erfühle die Stimmung und suche danach die Geschichten aus. Manchmal auch ernsthafte wie "50 Engel für das Jahr" von Anselm Grün.

Seit einem Jahr ist Waltraud Morgenstern ein guter Mensch in der Kursana- Villa. "Wir brauchen solche Menschen wie sie", sagt Direktorin Maria Helene Cammaus.

Die Figur "Klein Erna" geht auf eine reale Person zurück: Erna Nissen wurde um 1900 in Schleswig-Holstein geboren. 1906 siedelte Familie nach Hamburg um. Ernas Brüder erzählten eine Anekdote über ein Missgeschick ihrer Schwester im Jugendclub "Alster-Piraten". Bald erfanden sie neue Geschichten über die Hamburger Deern, in Hamburg auch Döntjes genannt. Die Schriftstellerin Vera Möller (1911-98) sammelte viele der verbreiteten Witze und gab sie ab 1938 in Buchform heraus.