Gewerbegebiet Bürogebäude zweckentfremdet - Stadt schaute jahrelang weg, nun muss sie handeln

Blumen, Aufkleber, Spielzeug und Gardinen sind hinter den Fenstern zu sehen. Sie zeigen, dass sich hier Familien eingerichtet haben. Vom Klinkerbau an der Carl-Zeiß-Straße 8 ist es über einen Sandweg nicht weit zum Mühlenredder, Supermärkte sind zu Fuß zu erreichen. Ein preiswertes Wohnidyll - allerdings baurechtlich illegal.

Das Haus liegt zwar am Rand, aber dennoch innerhalb des Gewerbegebietes, und da ist Wohnen nicht erlaubt. "Wir waren wie vor den Kopf gestoßen, als wir die Ordnungswidrigkeitsverfügung von der Stadt per Post bekamen", berichtet Marika Wilhelms. Die 33-Jährige wohnt seit 2002 mit ihrer vierköpfigen Familie in Reinbek - ordnungsgemäß gemeldet. Ihre älteste Tochter (8) geht am Mühlenredder zur Schule, so wie der Sohn ihrer 39-Jährigen Nachbarin, der gerade eingeschult wurde.

"Die Wohnung haben sie über einen Makler bekommen. Jetzt werden wir als 'Handlungsstörer' bezeichnet. Nach so vielen Jahren kann ich das nicht nachvollziehen", sagt Marika Wilhelms. 250 Euro Bußgeld musste sie an die Stadt zahlen. Nach einer Frist droht die Räumung. Drei Parteien haben den Klinkerbau mit Blick über die Feldmark bereits verlassen. "Für eine neue Wohnung, wenn wir sie überhaupt finden, müssten wir mindesten 200 Euro mehr bezahlen", fürchtet die 33-Jährige.

Auch Karsten Schulz hofft, dass er bleiben kann, Der 36-Jährige ist nierenkrank und von der Dialyse abhängig. "Ich kann die Praxis zu Fuß erreichen, und die Wohnung ist barrierefrei. Ich weiß ja nicht, was noch passiert." Auch er hat Widerspruch eingelegt und klagt jetzt gegen die Verfügung.

Vermieter Kurt Rieck (74), räumt ein, mit der Vermietung einen Fehler gemacht zu haben. Da die Stadt das Wohnen aber solange geduldet habe, hätte er sich für die aktuellen Mieter wenigstens eine "befristete Ausnahme" gewünscht.

Der Bauunternehmer war 1996 von Schönningstedt ins Gewerbegebiet umgesiedelt, wo er das Bürogebäude gebaut hatte. Nachdem eine Firma Insolvenz anmelden musste, waren die Büros nicht mehr zu vermieten. "Damals haben viele Arbeitnehmer aus den neuen Bundesländern im Gewerbegebiet gearbeitet und hier Wohnungen gesucht", sagt Rieck. Warum sollten die 450 Quadratmeter großen Flächen also leer stehen, hatte sich der Reinbeker gesagt und Wohnungen vermietet.

"Bis 2010 ging das gut", sagt Rieck. Immerhin acht Jahre. Dann hat eine Beschwerde über die Lärmbelästigung einer benachbarten Entsorgungsfirma (Ex-Köpu) den Stein ins Rollen gebracht. Lärmmessungen auf Balkonen ließen das für die Genehmigung des Betriebes zuständige Landesamt aufhorchen.

"Wir mussten einschreiten", sagt Bauamtsleiter Sven Noetzel zu dem "geerbten" Streit. Er ist seit zwei Jahren im Rathaus verantwortlich und räumt ein, dass ihm dieser Fall zu schaffen mache: "Aber wir sind an das Gesetz gebunden." Gewerbegebiete dienen dazu, Lärm verursachende Betriebe von Wohngebieten zu trennen. Interessen des Gewerbes haben hier Priorität.

"Unsere Aufgabe ist es, für gesunde Wohn- und Arbeitsbedingungen zu sorgen", sagt Jutta Zengeley, Sachgebietsleiterin für Bauordnung im Rathaus. Nach der Baunutzungsverordnung sei Wohnen nur für Betriebsleiter, Hausmeister oder Aufsichtspersonal in Ausnahmen zulässig.

Rieck gibt dennoch nicht auf, denn sein Bürohaus liegt im Randgebiet mit wegen der Nähe zur Wohnbebauung ohnehin verschärften Lärmschutzauflagen. "Der Bebauungsplan weist ein Gewerbegebiet mit Einschränkung auf. Laut ist es hier nicht mehr", sagt Rieck, der den Ball an die Stadt zurückspielt und eine Ausweisung zum "Mischgebiet" beantragt hat. Dann könnte Wohnen erlaubt sein.

Der Unternehmer im Ruhestand hat sich bei Nachbarn umgehört: "Meine Initiative wird von etwa acht Firmen unterstützt." Auch die Mieter hoffen auf eine Umwidmung, über die letztlich die Politik zu entscheiden hat.