Kursana: Stadt baut mobiles Wahllokal im Seniorendomizil auf - Die Bewohner sind begeistert dabei

Theoretisch hätten die Bewohner des Seniorendomizils Kursana gestern in Pantoffeln zur Wahl gehen können. Die Stadt Reinbek hatte in ihrem gemütlichen Kaminzimmer ein mobiles Wahllokal aufgebaut. Doch statt in legerer Kleidung ihr Kreuzchen zu machen, hatten sich die meisten Senioren sehr schick gemacht. Vor den Wahlurnen herrschte zwischen 11.30 Uhr und 12.15 Uhr ein Gewusel wie in einem Bienenstock. Für einen reibungslosen Ablauf sorgte Rezeptionist Jörg Havemann.

Ihre Stimme abzugeben und aktiv am politischen Geschehen teilzunehmen, das wollten sich die meisten älteren Bewohner auf keinen Fall entgehen lassen. Mehrere Senioren, die sich gestern nicht wohl genug fühlten, um ihr Zimmer zu verlassen, baten darum, dass das Wahlteam zu ihnen ans Bett kommt. Aufgrund von Unpässlichkeit die Wahl sausen zu lassen, kam ihnen nicht in den Sinn.

"Wählen ist eine Pflicht", sagt Ina Nimz. Die 83-Jährige wählte 1953 erstmals und kann sich noch gut an die Diskussionen in ihrem Elternhaus erinnern. "Meine Eltern wählten CDU, die politische Richtung hatten sie fraglos von ihren Eltern übernommen. Ich war aber überzeugt, dass man sich eine eigene Meinung bilden muss und habe das auch getan." Dass ihr Onkel sich mit ihr hitzige Wortgefechte lieferte und wetterte, sie sei "eine Kommunistin" brachte sie nicht von ihrem Weg ab. Ein Erlebnis in ihrer Kindheit wirkt bis heute nach und lehrt sie, wie wertvoll Demokratie ist. "Meine Oma war mit einer Jüdin befreundet. Sie ließ sich davon auch nicht abbringen, als die Nationalsozialisten solche Kontakte verboten", erinnert sie sich. Wenig später hingen überall Fotos von ihrer Großmutter mit der Überschrift: "Judenfreundin". "Das geht mir nicht aus dem Kopf."

Auch Richard Marner hat in seinem Leben noch keine Wahl verpasst. Allen, die meinen, es habe keinen Sinn, zur Wahl zu gehen, würde er gern sagen: "Wenn Sie nicht zur Wahl gehen, gewinnen Menschen, die möglicherweise nicht so regieren, wie sie es gern hätten." Der 87-Jährige, der genau wie seine Frau Edith (84) immer die gleiche Partei wählt, ist politisch interessiert, hat es in seinem Leben aber mit der Devise gehalten: Über Politik und Religion spricht man nicht. "Das sind Reizthemen und bringt nur Zoff", erklärt er.

Davon war an der Wahlurne gestern gar nichts zu spüren. Die Wahlhelfer Carla Eggert, Angelika Thiel und Hartmut Löhr sorgten für eine ausgesprochen harmonische und fröhliche Stimmung. Sie erfuhren zwar nicht, was die Senioren gewählt haben. Ein Paar verriet jedoch, beschwingt von der Stimmabgabe: "Wir sind schon seit 60 Jahren verheiratet."