775 Jahre Reinbek: Hermann Becker erinnert sich an seine Kindheit zwischen Dorfidyll und Kriegsalltag

Eine dunkle Nacht im Kriegsjahr 1943. Gewitterwolken brauen sich über Ohe zusammen. Im Munitionslager in den Oher Tannen heulen die Sirenen. Am späten Abend des 2. August an- und abschwellend. Vollalarm! Auch Hermann Becker sucht mit Eltern, Tanten und Geschwistern im Bunker Schutz -ein selbst gegrabenes, 1,80 Meter tiefes, befestigtes Erdloch im Garten des Hofes. Meist fliegen die Bomber-Geschwader über das Dorf hinweg. Ihr Ziel ist Hamburg. Doch diese Nacht wird Becker nicht vergessen. Sechs Jahre war er alt und kann sich noch an jedes Geräusch, jede Einzelheit erinnern. Zwei Bomben schlagen im Dorf ein, bringen den Krieg schlagartig auch in das idyllische Ohe, heute ein Stadtteil von Reinbek.

Es gibt unendlich viel zu erzählen aus der Geschichte Reinbeks. 775 Jahre wird die Stadt in diesem Jahr. Einige Seiten spannende Heimatgeschichte haben die Mitglieder des Museumsvereins zu dessen Gründungsmitgliedern auch der pensionierte Schulleiter gehört, für eine Ausstellung zusammengetragen. In einem der drei Begleithefte blickt Hermann Becker auf seine Kindheit zurück, als Sohn eines Kleinbauern in Ohe. Seine Erinnerungen sind gespalten: "Es gab paradiesische Spielmöglichkeiten, aber auch traumatische Erfahrungen."

Auf seiner Reise in die Vergangenheit musste er sich zu 90 Prozent auf seine Erinnerungen verlassen und zu zehn Prozent auf Gespräche mit Zeitzeugen. Dokumente oder Fotos gibt es nur wenige. Was in der Bombennacht vor 60 Jahren geschah, hat er im Internet recherchiert.

In der Nacht vom 2. auf den 3. August 1943 flog die Royal Air Force mit 740 Bombern einen Großangriff auf Hamburg. "Als der Verband Hamburg erreichte, geriet er unerwartet in ein starkes Gewitter und konnte wegen der herrschenden Turbulenzen seinen Zielanflug nicht vollenden", hat Becker herausgefunden. In dem Durcheinander entledigten sich die Flugzeuge ihrer Bombenlast an den Orten, wo sie sich gerade befanden. "Und so fielen auch Bomben auf Ohe", schreibt Becker in dem Begleitheft für die Ausstellung: "Eine große Bombe ging am Nordrand der heutigen Siedlung Finkenkoppel nieder und hinterließ einen mehrere Meter tiefen Trichter von gewaltigem Umfang".

Becker erinnert sich noch daran, dass an einem der letzten Häuser an der Oher Straße der Giebel komplett fehlte. "Man hatte vom Garten her Blick auf den kupferfarbenen Badezimmerofen". Für weitere Aufregung sorgte eine Fliegerbombe, die als Blindgänger auf dem Sandweg Achtern Hoff, heute hinter den Höfen 16, lag. Anwohner flüchteten panisch aus ihren Häusern. Schließlich explodierte der Blindgänger in den Mittagsstunden mit einem Knall. Vom Hühnerstall blieb ein Bretterhaufen, und die Scheune stand ohne Seitenwände auf wenigen Balken, das Dach hing schief.

Doch es gibt auch beschauliche Erinnerungen an das Dorf, das damals aus zehn Bauernhöfen bestand. "Für uns Kinder war die Knicklandschaft zwischen den umliegenden Feldern ein paradiesischer Lebensraum, der viele Voraussetzungen bot, um sich kreativ zu beschäftigen", erinnert sich Becker an seine selbstgebaute Flöte aus einem Weidenast. Unvergessen bleiben für den späteren Pädagogen auch die ersten Jahre in der Dorfschule, dem heutigen Feuerwehr-Museum. 75 Kinder aller Stufen wurden in einem Raum von einem Lehrer unterrichtet, so Becker. Seit 75 Jahren lebt er in Reinbek, hat als SPD-Stadtverordneter die Politik mitgestaltet. "In meinem Alter sind die frühen Eindrücke, die Erinnerungen an die Kindheit, die stärksten." Und an denen lassen er und die Mitglieder des Museumsvereins die Reinbeker teilhaben.

Die Ausstellung des Museumsvereins "775 Jahre Reinbek - Ein langer Weg zur Stadt" ist im Schloss und ab 19. August in der Volkshochschule zu sehen.