Reinbek. Dem Charme von Anja Castillon können sich selbst raubeinige Seebären nicht entziehen. Mit ihrem fröhlichen Gemüt hat sie gleich mehr als 30 Männer auf einmal im Sturm erobert.

Denn die 38-jährige Reinbekerin ist seit vergangenem Jahr die einzige Frau im Team des beliebten Shanty-Chores "De Tampentrekker" - bekannt auch durch die NDR-Sendung "Inas Nacht" mit Ina Müller. Mit ihrem Akkordeon begleitet sie die Männer, die sich selbst als die musikalischen Botschafter Hamburgs bezeichnen. Die Zeiten, in denen die Herren unter sich Seemannslieder schmetterten, sind damit vorbei. "Ich bin sehr herzlich aufgenommen worden", sagt Castillon, die um ihren Exotenstatus weiß und ihn durchaus ein bisschen zu genießen weiß. Einstimmig haben sich die Sänger für ihren weiblichen Zuwachs entschieden. Der Beginn einer Freundschaft, die noch lange halten soll.

Berührungsängste kennt die Sozialversicherungsangestellte generell nicht. Während sich andere Musiker zum Proben ins stille Kämmerlein zurückziehen, streift sich die zierliche Brünette ihr Fischerhemd über, schnappt sich Kapitänsmütze und Akkordeon und fährt zum Notenüben an den Hamburger Hafen. Vor maritimer Kulisse machen die Übungseinheiten nicht nur ihr, sondern auch den Passanten Spaß. Die Begleitung der Tampentrekker ist allerdings nur ein Teil ihrer zahlreichen Engagements. Unter dem Künstlernamen "Anjas Seemannskiste" sorgt sie bei Hafenrundfahrten, beim Hafengeburtstag, sogar bei hochkarätigen politischen Veranstaltungen für Stimmung. "Bei der Innenministerkonferenz auf dem Museumsschiff Rickmer Rickmers im Mai habe ich die Begleitmusik gemacht", sagt Castillon, deren gesamtes Privatleben aus Musik besteht.

In Frank Böttger hat sie einen Mann gefunden, der dieses Lebenskonzept zu hundert Prozent mitträgt. Auch der 43-Jährige kann sich ein Leben ohne Musik nicht vorstellen. Schon als Teenager hat er als Schlagzeuger in der "Rubin-Combo", der bekannten Tanzband seines Vaters, für Stimmung gesorgt, sich sein Taschengeld mit "Mucken" aufgebessert. Seitdem hat er den Rhythmus im Blut. "Man muss es fühlen. Wenn man einen Fehler macht, liegen alle Tänzer auf der Nase", weiß der Reinbeker. Er hat die Rubin-Combo, die sich Anfang der 1990er-Jahre aus Altersgründen auflöste, wieder mit Leben gefüllt. In seiner zweiten Band "Fortissimo" spielt auch seine Frau Anja mit. Allerdings stimmt sie hier nicht das Akkordeon, sondern das Alt-Saxofon an. Ein Multitalent. "Wenn sie spielt, zieht sie alle Blicke auf sich", weiß Frank Böttger. Doch es schwingt Stolz und keinesfalls Eifersucht mit. In seiner Künstler-Agentur "Rubin-Musik" ( www.rubin-musik.de ) steht seine Frau ganz oben auf der Liste jener Künstler, die man für private und öffentliche Auftritte buchen kann.

Als Stress würde das Ehepaar sein Leben aber auf keinen Fall bezeichnen. Die Musik sei eine angenehme Entspannung vom Alltag, ein Besuch bei der Musikmesse in Frankfurt geht als Urlaub durch. Die Musik ganz zum Beruf zu machen, kommt für beide nicht in Frage. "Das rechnet sich nicht", weiß Böttger. Gerade in den 90er-Jahren habe es einen regelrechten Einbruch bei der Tanzmusik gegeben. "Der DJ ist der natürliche Feind des Musikers. Mit drei Mann kann man nicht Michael Jackson spielen. Das verstehen aber heute viele unter Tanzmusik."

Die handgemachte Musik mit Künstlern zum Anfassen weiß man in Hamburg aber noch zu schätzen. "Wenn die Tampentrekker auftreten, dann rockt die ganze Fischauktionshalle, unbeschreiblich. Für solche Momente wird man Musiker", sagt Frank Böttger. Und seine Anja? Die steht strahlend mittendrin.