Reinbek. Das, was Adelheid Tyziak empfindet, wenn sie an die Unfallstelle ihres Sohnes an der Hamburger Straße kommt, kann sie nur schwer in Worte fassen.

Ihr jüngster Sohn verunglückte im April 1997 direkt am Krankenhaus St. Adolf-Stift mit seinem Motorrad. Die Ersthelfer konnten den damals 22-Jährigen nicht mehr retten. Mehrmals in der Woche geht die 65-Jährige seitdem zum großen Holzkreuz, das ihr Mann wenige Tage nach dem Tod ihres Sohnes aufgestellt hatte. Nie kommt sie ohne einen Strauß Blumen, mittwochs und sonnabends sind die Rosen frisch vom Markt am Täbyplatz. Ein beruhigendes Ritual für die Frau, die ihren Sohn verloren hat - seit zwölf Jahren.

Doch es gibt Menschen, die ihre Trauer und die ihrer Familie mit Füßen treten. Immer wieder steht Adelheid Tyziak vor leeren Blumenvasen. "Es gibt Leute, die stehlen ganze Sträuße direkt vom Kreuz weg", sagt die Betroffene fassungslos. Immer wieder fragt sie sich: "Wer macht so etwas?" Pietätlos, erschreckend, unfassbar - das sind die Worte, die ihren Schmerz nur unzureichend beschreibend. "Es sind doch Blumen für meinen Jungen, nicht für jemand anderen", fügt sie unter Tränen hinzu. Ist es Dreistigkeit, Geiz? Oder sind die Diebe Menschen, die kein Geld haben, um für ihre Lieben einen Strauß kaufen zu können? Menschen, die denken: "Merkt ja keiner und ich kenne jemanden, der sich freut."

Alles kein Trost für Adelheid Tyziak. In den Jahren nach dem Unfall hat sie sich mühsam zurück ins Leben gekämpft, mit anderen betroffenen Eltern gesprochen, die Selbsthilfegruppe "Verwaiste Eltern" besucht. Heute kann sie sagen: "Die Trauer wird langsam etwas leiser." In die einst fröhliche Familie ist das zwischenzeitlich verloren gegangene Lachen wieder zurückgekehrt. Nicht allein wegen ihrer Enkel, den vierjährigen Zwillingen Vincent und Valentin ihres Sohnes Christopher. "Meine zwei kleinen Sonnenscheine", sagt die stolze Oma.

Doch immer, wenn sie vor dem Kreuz von Simon steht und die Blumen für ihren Sohn wieder geklaut sind, reißt der Kummer auf. Jede Woche, seit zwölf Jahren.

"Es sind doch Blumen für meinen Jungen, nicht für jemand anderen."

Adelheid Tyziak, Mutter des verunglückten Simon.