Reinbek (amü). Die Krise schlich sich langsam in den Alltag ein. Anna P.* war eine Frau, die mitten im Leben stand. Beruf, Haushalt und Familie meisterte sie spielend. Bis plötzlich ein kleines Rädchen in dem seit Jahren funktionierenden System nicht mehr rund lief.

Die 43-Jährige zieht sich zurück, vermeidet Kontakt zu Freunden, lässt ihren Garten verkommen. Sie leidet an Schlafstörungen, bekommt berufliche Probleme. "Immer mehr Menschen schaffen es nicht mehr, dem beruflichen Druck standzuhalten, vor allem in den Pflegeberufen", hat Dr. Johst Brandt festgestellt. Der Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie leitet die psychiatrische Tagesklinik am Kinauweg. "Seit Anfang des Jahres ist die Warteliste explodiert." Mussten Patienten sonst in der Regel zwei Wochen auf einen der 15 Plätze warten, sind jetzt frühestens wieder im Mai Plätze für die sechs Wochen dauernde ambulante Behandlung frei.

Gerade in Stresssituationen brechen unbewältigte Konflikte oder Trauma aus der Kindheit hervor. "Depressionen und psychische krankhafte Reaktionen auf Konflikte nehmen zu", sagt Dr. Johst. Manchmal merken die Menschen gar nicht, dass sie an einer schweren Depression leiden oder haben Angst davor, in eine vollstationäre psychiatrische Klinik zu gehen. Wer seinen Alltag nicht mehr bewältigen kann, muss diesen nicht gleich komplett aufgeben. In der Reinbeker Tagesklinik gibt es seit Juni 2002 Hilfe. Acht Mitarbeiter bieten hier Unterstützung für die "Seele in Not", vier betreuen in der angegliederten Tagesstätte 15 weitere Patienten.

"Die meisten kommen aus niedergelassenen Praxen", sagt Petra Nipken, Krankenschwester und Betriebswirtin. Der Einzugsbereich ist Südstormarn bis zum Westen Hamburgs. Der Vorteil der Behandlung in der Tagesklinik ist, dass die Patienten ihr häusliches Umfeld nicht ganz verlassen müssen. Sie können abends nach Hause gehen. Ein wichtiger Aspekt sei auch, dass die Tagesklinik die familiäre Atmosphäre eines Wohnhauses ausstrahlt. "Das Leben schwappt weiter an sie heran", bringt Brandt es auf den Punkt und fügt hinzu: "Wir haben den Anspruch, jeden zu nehmen, bis auf Patienten die suchtkrank oder nicht mehr ansprechbar sind." Behandelt werden unter anderem Ängste, Depressionen, Neurosen oder Zwangsvorstellungen und Schlafstörungen. Das Angebot der Tagesklinik richtet sich an Menschen, für die eine ambulante Behandlung nicht ausreicht, ein stationärer Aufenthalt aber vermieden werden sollte. Außerdem können im Krankenhaus begonnene Therapien fortgeführt werden. "Unsere Patienten werden tagsüber medizinisch und therapeutisch behutsam betreut. Eigeninitiative und Selbstständigkeit können so erhalten und gestärkt werden", sagt Nipken. Die Akutbehandlung wird von den Krankenkassen übernommen. (* Name von Red. geändert)

* Das Psychiatrische Zentrum gehört unterm Dach der Stiftung Alsterdorf zum Heinrich Sengelmann Krankenhaus, Bargfeld-Stegen, Telefonnummer (040) 73 12 87 20 .