Reinbek (sho). Wenn Dr. Jens Hilgenhövel im Reinbeker Amtsgericht ein Urteil im Namen des Volkes spricht, ertönt kein hölzerner Hammerschlag im Verhandlungssaal. Der 41-Jährige schafft es auch ohne Hilfsmittel, dem Gesetz Nachdruck zu verleihen.

"Diesen Hammer gibt es nur in amerikanischen Gerichtsserien", erklärt Hilgenhövel mit einem amüsierten Gesichtsausdruck. Ansonsten kann er mit vielem dienen, was Laien mit einem Richter in Verbindung bringen: Eine schwarze akkurate Richterrobe, Berge von Akten, die abgearbeitet werden müssen, den schweren, roten "Schönfelder" - das juristische Grundlagenwerk mit allen Deutschen Gesetzestexten - und die Ausstrahlung eines Mannes mit Menschenkenntnis, den so schnell nichts aus der Ruhe bringen kann.

Rund zehn bis 15 Zivilrechtsfälle verhandelt der Hamburger an der Parkallee 6 pro Woche und überlässt dabei nichts dem Zufall. "Ich arbeite alle Akten durch, gehe mit einer klaren Vorstellung darüber, wie ein Prozess laufen könnte, in die Verhandlung", sagt Hilgenhövel. Eine Akte, die er einmal sorgfältig durchgearbeitet hat, kann er auch Tage später noch auf den Punkt wiedergeben. "Übungssache und Erfahrung", sagt der Richter. Verkehrsunfälle, Mietrechtsstreitigkeiten, Kaufverträge, Schadensfälle - all das landet auf seinem Tisch.

Manchmal sind auch Fälle dabei, die andere zum Schmunzeln bringen. Jüngst verlangte eine Dame Schadensersatz, weil sie in einem Freibad am Großensee auf Entenkot ausgerutscht sei und sich dabei blaue Flecken zugezogen habe. Hier wie in allen anderen Fällen gilt: Um eine persönliche Bewertung der Streitfälle geht es im Reinbeker Gerichtssaal nicht. Selbst wenn viele andere nach der unsanften Landung auf dem Hosenboden nur "Verflixt noch mal" gerufen und nicht gleich die Justiz bemüht hätten - Richter Hilgenhövel interessiert das nicht. Er muss nur klären, ob die Klägerin ein Recht auf Schmerzensgeld hat. Hatte sie nicht, wie sich herausstellte. Die Klage wurde abgewiesen, sie muss die Verfahrenskosten von 700 Euro selbst tragen. Ein teurer Ausrutscher.

Nicht immer sind am Ende alle Hilgenhövels Meinung. "Es gibt Menschen, die ein Urteil einfach nicht akzeptieren. Immer wieder schreiben sie Briefe, beschweren sich", weiß der Jurist. Querulanten im Gerichtssaal und vermutlich auch im Rest des Lebens. Zuweilen füllen sich Akten zentimeterdick, ohne, dass überhaupt jemals vor Gericht verhandelt worden wäre. Schriftverkehr, der vor allem eins macht: Zeit rauben, Nerven aufreiben.

Obwohl heute jeder sofort bei Streitigkeiten mit seinem Anwalt zu drohen scheint, auf sein Recht pocht und Paragrafen bemüht, ist Hilgenhövel sicher, dass die Streitlust insgesamt nicht zugenommen hat. "Ein großer Teil der Prozesse wird nicht durch Urteile, sondern einvernehmlich geregelt." Langwierige und emotional geführte Nachbarschaftsstreitigkeiten landen seit 2001 sowieso nicht mehr auf seinem Tisch. Dank eines neuen Gesetzes müssen sich Streithähne jetzt mit einem Schlichter über hohe Hecken und Gartenzwerge verständigen.

Ein anderer Klassiker - Mietstreitigkeiten - beschäftigen ihn weiter beinahe wöchentlich. Dauerbrenner im Gerichtssaal: Schimmel in der Wohnung. Wer ist schuld? Wer muss zahlen? "Als erstes hören wir immer vom Hauseigentümer, dass der Mieter falsch lüftet", sagt der Richter. Kein Prozess beginne ohne diese Schuldzuweisung. Dabei sei zunächst der Vermieter derjenige, der beweisen müsse, dass der Schimmel nicht auf Baumängel zurückzuführen ist. Erst wenn Gutachten das ausschließen, komme der Mieter ins Spiel. "Da ist im Laufe der Zeit ein völlig falsches Bild in der Öffentlichkeit entstanden", betont Hilgenhövel. Ein großer Irrtum, genau wie jener, dass in deutschen Gerichtssälen das Urteil lautstark mit dem Hammer verkündet wird.