Bad Oldesloe. Jeder ist entsetzt, wenn er von Fällen sexueller Gewalt wie im österreichischen Amstetten in den Medien hört. Doch die Frau, die über 24 Jahre von ihrem Vater in einen Keller gesperrt und missbraucht wurde, ist kein Einzelfall: “Es gibt viele Fälle von Frauen, die jahrelang isoliert und sexuell traumatisiert werden, auch bei uns“, weiß Stefanie Wille, Diplom-Psychologin für den Notruf der Beratungsstelle “Frauen helfen Frauen Stormarn“ in Bad Oldesloe.
Als Beispiel erzählt sie von einer 29-Jährigen aus einem kleinen Ort in Südstormarn, die zu "Frauen helfen Frauen" kam, um sich wegen ihrer Essstörungen helfen zu lassen. Willes Kollegin erkannte jedoch schnell, dass die Störung nur ein Symptom für eine dissoziative Identitätsstörung, eine Persönlichkeitsspaltung, war. Scheinbar hatte sie schon als kleines Kind gelernt, ihre innere Welt in verschiedene Anteile aufzuspalten, um im Alltag zu überleben: Es sind ein innerer Helfer, Beobachter, kindliche Anteile, aber auch Täteranteile, die jedoch nichts voneinander wussten.
Während der Beratung kam heraus, dass die junge Frau von ihren Eltern vermutlich schon als Kleinkind an eine kriminelle Gruppe verkauft worden war, in der sie satanischen Riten und sexuellem Missbrauch ausgeliefert war - eindeutig ein Fall für Wille, die für die Notruf- und für die psychosoziale Beratung zuständig ist. Sie hilft der Klientin zunächst stabil zu werden, Erinnerungen, die willkürlich aus dem Unterbewusstsein aufsteigen, zu kontrollieren, bevor über das Trauma gesprochen werden kann. Doch die Finanzierung langfristiger Begleitungen ist nicht gesichert. Deshalb werden jetzt verstärkt Paten gesucht, die für eine Frau Therapiestunden spenden.
Wille hilft vergewaltigten und misshandelten Frauen und Mädchen ab 14 Jahren. Im Jahr 2007 gab es 801 Notruf- und 178 psychosoziale Beratungen. Außerdem wurden 35 Frauen und Mädchen zu Behörden, Gerichten, Polizei oder Ärzten begleitet. Die öffentlich finanzierte Beratungsstelle darf allerdings keine Therapien anbieten. Denn diese sind Krankenkassenleistungen. Ausnahme sind Sonderfinanzierungen.
Die Kassen zögen sich aus Langzeittherapien immer mehr zurück, beklagt Wille. Mehr als 100 Therapiestunden - das entspricht etwa zwei Jahren - würden sie nicht bezahlen. "Schwer traumatisierte Frauen aber brauchen langfristig Hilfe - sie fallen durch alle Raster." Auf dem freien Markt gebe es nur wenige Fachleute, die dafür ausgebildet sind, Opfer sexueller Gewalt zu behandeln, und häufig würden die Psychologen schwierige Fälle von vornherein ablehnen. "Die Wartezeit beträgt deshalb oft mindestens ein Jahr", bedauert Wille. Bei ihr sollen die Frauen nicht länger als zwei Wochen auf das Erstgespräch warten. Je nach Dringlichkeit rutscht die Klientin in der Warteliste nach oben und erhält nach einem bis zwei Monaten den ersten Termin.
Wer eine durch sexuelle Gewalt traumatisierte Stormarnerin unterstützen will, hat die Wahl: Von einer Therapiestunde für 40 Euro bis zu einem Jahr Behandlung für 1920 Euro ist alles möglich. Infos gibt es unter Telefon (045 31) 867 72 oder unter www.frauenhelfen frauenstormarn.de im Internet.
"Schwer traumatisierte Frauen aber brauchen langfristig Hilfe - sie fallen durch alle Raster."
Stefanie Wille, Diplom-Psychologin