Havighorst/Lübeck
(gr).
Zwölf Jahre Freiheitsstrafe wegen Totschlags - mit diesem Urteil endete gestern vor dem Landgericht Lübeck der Prozess gegen Amir H. Das Gericht hielt es für erwiesen, dass der 47-jährige Afghane seinen Ex-Schwager Massoud A. mit vier Pistolenschüssen getötet hat. Spaziergänger hatten die Leiche des 29-jährigen Familienvaters am Morgen des 5. März 2014 in der Havighorster Feldmark entdeckt (wir berichteten). Der Staatsanwalt hatte lebenslänglich wegen Mordes beantragt, der Verteidiger einen Freispruch gefordert.

Neun Verwandte des Opfers waren in dem Prozess als Nebenkläger aufgetreten, darunter seine Witwe und mehrere Geschwister. "Auch für sie hat das Verfahren mit über sieben Monaten quälend lange gedauert", sagte der Vorsitzende Richter Christian Singelmann in seiner fast zweistündigen mündlichen Urteilsbegründung. "Weil es aber kein Geständnis des Angeklagten gab, musste das Gericht sich diese Zeit zur Bewertung der zahlreichen Indizien nehmen."

Für die Verurteilung wegen Mordes fehlte dem Gericht das Tatmerkmal der Heimtücke. "Der Angeklagte hat die Tatwaffe zwar zu der Unterredung mit dem späteren Opfer mitgenommen, im Prinzip war er wohl auch zur Tötung seines Ex-Schwagers bereit. Der eigentliche Entschluss zu der Tat kam ihm vielleicht aber erst während des Streits", so der Richter.

Warum aber musste Massoud A. sterben? Die Suche nach dem Motiv für die Bluttat bereitete dem Gericht große Schwierigkeiten. "Wahrscheinlich ging es um ein Geschäft mit illegalem Hintergrund und dabei um eine sehr hohe Geldsumme", sagte der Richter. "Die 1500 Euro, die das Opfer dem Angeklagten geschuldet haben soll, reichen als Tatmotiv nicht aus. So etwas ist völlig lebensfremd".

Entscheidend für den Schuldspruch waren vor allem die Aussagen der beiden Zeugen Morteza A. und Schabab E. Beiden Männern soll Amir H. die Tat gestanden haben. "Es stimmt zwar, dass beide Zeugen einen schwerkriminellen Hintergrund haben, Schabab E. hat sich bei seiner Aussage vor diesem Gericht als sehr schillernde Figur dargestellt. In diesem Fall waren die Zeugen aber glaubwürdig", erklärte der Richter. Keiner von beiden habe einen Grund gehabt, dem Angeklagten wider besseres Wissen ein Tötungsdelikt anzuhängen.

Amir H. nahm das Urteil bleich und sichtlich bewegt entgegen, immer wieder schüttelte er den Kopf und vergrub sein Gesicht in den Händen. Am Ende der Sitzung kam es zu dramatischen Szenen. Die Witwe des Opfers erlitt einen Weinkrampf und musste von Angehörigen gestützt werden. Auch die beiden Töchter des Angeklagten brachen in Tränen aus. "Der Anwalt ist an allem schuld", beschimpfte der Angeklagte seinen Pflichtverteidiger Dr. Stefan Tripmaker. Schon während des Verfahrens hatte er seinem Wahlverteidiger Andreas Mroß das Mandat entzogen. Dr. Stefan Tripmaker will trotz der gestörten Beziehung zu seinem Mandanten Revision gegen das Urteil einlegen. "Die Beweisführung ist lückenhaft und völlig unzureichend", erklärte er kurz nach dem Urteil.

"Der Angeklagte hat die Tatwaffe zwar mitgenommen. Der eigentliche Entschluss zu der Tat kam ihm vielleicht aber erst während des Streits." Christian Singelmann, Richter