Von Susanne Tamm

Glinde.
Erst erklingen im ersten Stock Trompeten, dann weitere Bläser. Ein schlaksiger Schüler rollt lässig auf einem Longboard über den Pausenhof. Lautes Rufen ist zu hören, Kinderlachen. Dann füllt sich der Platz zwischen dem Neubau der Gemeinschaftsschule Wiesenfeld und der Baustelle langsam mit noch mehr Jugendlichen und Kindern. Eine Gruppe spielt Fußball, zwei Mädchen setzen sich unter den Magnolienbaum. Das wird Volker Wurr wohl am meisten vermissen: "Diese ganze Atmosphäre! Die Begegnungen mit den Schülern und Kollegen." Die Terminfülle durch Sitzungen im Bürgerhaus oder im Bildungsministerium in Kiel hingegen am allerwenigsten.

Heute wird der 64-Jährige, seit mehr als 21 Jahren Schulleiter in Wiesenfeld, offiziell in seinen Ruhestand verabschiedet. An seinen ersten Tag als Schulleiter erinnert er sich noch: "Es war alles sehr überschaubar, elf Klassen und etwa 20 Kollegen. Die Hauptschule hatte die Gebäude gerade geräumt, um an den Oher Weg zu ziehen. Der Kollege der Hauptschule kam noch und packte sämtliche Reste an Chemikalien in seinen Wagen samt Phosphor und Quecksilber. Ich dachte nur: Mein Gott, wenn der angehalten wird!"

Schon seit 1992 nahm die Schule auch Kinder mit Förderbedarf auf. In Sachen Inklusion war sie immer Vorreiter. "Neulich rief mich einer von ihnen an. Er hatte mit einer Lernbehinderung bei uns seinen Hauptschulabschluss geschafft und schreibt heute an seiner Magisterarbeit. Das hat mich natürlich sehr gefreut." Für ihn steht fest: Das Recht auf Bildung, also auch Inklusion ist ein Grundrecht. "Wir müssen die Teilhabe ermöglichen." Deshalb sieht er die Entwicklung, dass sich der Kreis Stormarn aus der Finanzierung der Schulbegleiter zurückzieht, mit Sorge. Denn für sie und die Unterstützung, die sie leisten, gebe es keinen Ersatz.

Toleranz und Akzeptanz seien prägend für die Atmosphäre der Gemeinschaftsschule Wiesenfeld. Rassismus, Gewalt und Zerstörung sind hier Fremdwörter. Das führt Wurr auf das pädagogische Konzept zurück, das in vielen Bereichen auf Teamdenken, demokratischen Strukturen und einem Miteinander auf Augenhöhe zwischen Schülern und Lehrern basiert. Zum Erfolg habe auch die Schulsozialarbeit beigetragen.

In den 21 Jahren sei die Schule fast permanent eine Baustelle gewesen. "Leider erlebe ich den letzten Bauabschnitt, wenn die Schule fertig wird, jetzt nicht mehr mit", bedauert Wurr.

Krisen wie 2013, als ein Musiklehrer tödlich verunglückte, waren glücklicherweise selten. Damals stand die gesamte Schule unter Schock. "Das ist mir damals auch persönlich sehr nahe gegangen", sagt der 64-Jährige. Für ihn überwiegen die schönen und bewegenden Momente.

Dazu zählen Besuch von Günter Grass an der Schule, die Verleihung des Olof-Palme-Preises, die Veranstaltungen mit dem SPD-Politiker Alfred Schulz und seinem Verein Tribüne, Schulkonzerte und Kulturcafés, Klassenreisen und Ausflüge mit den Kollegen oder zuletzt die Verlegung der Stolperschwelle am einstigen Arbeitslager Wiesenfeld. Dazu boten die Schüler Führungen an.

Langweilen wird er sich im Ruhestand allerdings auch nicht. Volker Wurr freut sich auf mehr Zeit mit seiner Familie - im September wird das dritte Enkelkind erwartet. Und auf das Segeln mit seinen alten Klassenkameraden. Zudem will er einen Lehmofen rekonstruieren, um Brot und Pizza zu backen, sich seinem "wunderbaren" Gemüsegarten widmen und unbedingt das neue Ballett von John Neumeier sehen.