Von Harry Grunwald

Havighorst/Lübeck
. "Keine Fingerabdrücke, keine Tatwaffe, keine DNA-Spuren, lückenhafte Handy-Daten, kein Motiv, keine glaubwürdigen Belastungszeugen", so schilderte Rechtsanwalt Dr. Stefan Tripmaker gestern vor dem Landgericht Lübeck die Beweislage gegen seinen Mandanten Amir M. aus seiner Sicht. Der 47-jährige Afghane soll in der Nacht zum 6. März 2014 seinen Landsmann und Schwager Massoud A. (29) in der Havighorster Feldmark mit vier Pistolenschüssen ermordet haben (wir berichteten).

Die Anklage gegen Amir M. stützt sich unter anderem auf die Zeugenaussagen der beiden Iraner Morteza A. und Schabab E., denen der Angeklagte die Tat angeblich gestanden hat. Doch Rechtsanwalt Dr. Tripmaker bezeichnete diese beiden Zeugen in seinem Plädoyer als völlig unglaubwürdig. "Morteza A. ist erheblich vorbestraft, unter anderem wegen schweren Raubes zu sechseinhalb Jahren, er ist in der Hamburger Zuhälter-Szene aktiv", so der Anwalt. Auch Schabab E. sei wenig glaubwürdig, "er ist wegen Mordes vorbestraft, in der Lübecker Justizvollzugsanstalt gilt er als fantasievoller Geschichtenerzähler". So habe sich auch seine Zeugenaussage angehört, "oft hatte er zwei völlig unterschiedliche Antworten auf dieselbe Frage parat".

Vollkommen glaubwürdig sei dagegen die Zeugenaussage einer Spielhallenaufsicht gewesen, die den Angeklagten zur mutmaßlichen Tatzeit in der Spielhalle in Hamburg gesehen haben will. Schon deshalb komme sein Mandant als Täter nicht infrage, er müsse daher freigesprochen werden.

Staatsanwalt Nils-Broder Greve ist dagegen von der Schuld des Angeklagten überzeugt. Am 1. Juni hatte er in seinem Plädoyer lebenslange Haft für Amir M. beantragt.

Der Angeklagte hatte zu Prozessbeginn am 7. November 2014 seine Unschuld beteuert und danach fast nur noch geschwiegen. Gestern äußerte er sich ausführlich, eine Stunde lang, zu dem Anklagevorwurf und redete sich regelrecht in Rage. "Ich habe Massoud wie meinen Bruder geliebt, niemals hätte ich ihm etwas antun können", sagte er sichtlich erregt, "über ein Jahr sitze ich unschuldig in Untersuchungshaft, mir ist bitteres Unrecht angetan worden".

Ursprünglich sollte das Urteil schon am 6. März verkündet werden, aber wegen der schwierigen Beweislage zog sich das Verfahren immer weiter in die Länge. Jetzt ist ein Ende abzusehen. Am 24. Juni kommt Rechtsanwalt Andreas Mroß als zweiter Verteidiger von Amir M. zu Wort. Wenn alles nach Plan läuft, soll am 6. Juli um 13 Uhr das Urteil verkündet werden.

"Ein Jahr unschuldig in Untersuchungshaft, mir ist bitteres Unrecht angetan worden." Amir M., angeklagt wegen Mordes