24. April 1945: 700 Menschen kommen bei einem Bombenangriff der Royal Air Force auf Bad Oldesloe um. Kräfte der sowjetischen 1. Ukrainischen Front erreichen von Süden her die Reichshauptstadt Berlin. Der "Völkische Beobachter", das Parteiorgan der NSDAP, stellt sein Erscheinen ein. Ulm wird von französischen und US-amerikanischen Truppen besetzt. US-Truppen erobern in Norditalien die Stadt La Spezia, britische Kräfte Ferrara.

Von Susanne Tamm

Glinde.
Luigi Gollo (92) schnürt es die Kehle zu, wenn er 70 Jahre zurückdenkt: Mit etwa 700 anderen Arbeitern harrte der Italiener kurz vor Kriegsende im Lager Wiesenfeld aus. Die Kurbelwellenwerkstatt Hamburg (KuHa) des Krupp-Konzerns, in der er zuvor in 12-Stunden-Schichten sechs Tage die Woche geschuftet hatte, war bereits am 13. April, zu Ostern geschlossen worden. "Die Deutschen waren weg und die Küche und die Vorräte hatten sie mitgenommen", erzählt Luigi Gollo. Noch 20 Tage mussten die Zwangsarbeiter und viele Fremdarbeiter warten - zwischen Bangen und Hoffen. "Wir hatten Angst, dass jemand auf uns schießen könnte." Zu der Ungewissheit quälte sie vor allem der Hunger.

Stadtarchivar Carsten Walczok erklärte den Hintergrund: "Die Rohstoffe waren Anfang April knapp geworden. Deshalb wurde der Betrieb gestoppt. Ob Zwangsarbeiter oder Fremdarbeiter - für den Konzern machte es keinen Sinn, sie weiter zu versorgen, wenn sie ihre Dienste nicht mehr brauchten."

Hobby-Historiker Heinz Juhre ergänzte: "Die Soldaten aus dem Heereszeugamt hatten sich schon Richtung Flensburg abgesetzt. "Sie wurden bei Rendsburg von den Alliierten eingeholt. Das Wachpersonal des Lagers trug zwar eine Uniform, zählte aber nicht zum Militär. Die Wachleute gingen nach Hause, zwei, drei versteckten sich in den Wäldern." Juhre weiß von einem Wachposten, der von Ukrainern des Lagers erschossen wurde, als er zurückkehrte, um seine Waffe zurückzugeben. Das ist dokumentiert. Auch der ehemalige Zwangsarbeiter Arkadius Cekus, der Glinde 2012 besuchte, habe davon berichtet.

Wie Luigi Gollo erzählte auch der Tscheche vom alles bestimmenden Hunger. "Wir haben uns tatsächlich von Gräsern und Blättern ernährt", sagte der 92-Jährige.

Gollo hatte als italienischer Gebirgsjäger, als "Alpini" gekämpft, als die Italiener am 12. September 1943 vom deutschen Verbündeten zu Feinden wurden. Damals wurde er von der Wehrmacht gefangen genommen. Die Schönningstedter Mühle, deren Flügel er täglich auf dem Weg vom Lager zu KuHa und wieder zurück am Horizont erblicken konnte, wurde für ihn zum Symbol der Freiheit. Am 3. Mai kamen sie tatsächlich: die Briten. Zuerst hörten die Glinder und auch die Arbeiter sie nur. Sie kamen aus Richtung Schönningstedt über die Möllner Landstraße.

Die Fremdarbeiter, die teils bereits seit Jahren im schon 1936 errichteten Glinder Kurbelwellenwerk schuften mussten, sahen zu, dass sie nach Hause kamen, berichtet Walczok. Dazu zählten Dänen, Norweger, Holländer, Belgier und Franzosen. In der Heimat verschwiegen sie ihre Tätigkeit in Deutschland über Jahrzehnte.

Viele Zwangsarbeiter aus dem Osten konnten nicht sofort aufbrechen: Russen, Weißrussen und Ukrainer mussten fürchten, vom Stalin-Regime als angebliche deutsche Kollaborateure bestenfalls in sibirische Straflager verschleppt zu werden. Auch Polen, Tschechen und Jugoslawen durften in ihren Heimatländern auf keinen freundlichen Empfang vertrauen.

Gollo erinnert sich vor allem an die britischen Soldaten, die mit ihren Panzern ins Lager fuhren. "Ich durfte zu den Soldaten hinaufsteigen. Er schenkte mir zwei Zigaretten und Kekse", erinnert er sich noch immer bewegt: " Am liebsten wäre ich auf diesem Panzer geblieben. Aber ich musste wieder herunter."

Bis er, damals 22, endlich Heim durfte, dauerte es noch. Erst im August konnte er nach Garessio im Piemont reisen. Er gründete eine Familie, wurde Vater von sechs Kindern und kaufte ein Haus. In dem lebt er noch heute.