Von Susanne Tamm

Oststeinbek.
Sieben Jahre ist es her, dass Waldemar Paulsen (67) in den Ruhestand ging und noch heute erinnert sich der einstige Kriminalhauptkommissar an der Davidwache minutiös an alle Einzelheiten: Ob an die Geburtsdaten und Autokennzeichen der Zuhälter oder wer mit wem liiert war - "Pauli", wie seine Kollegen ihn nannten, kannte seine Pappenheimer.

Gestern stellte er auf Einladung der Awo sein Buch "Meine Davidwache" (Rowohlt-Verlag) vor. Dies sei die korrekte Schreibweise: "Bei dem Wort Davidswache bekomme ich einen Ohrinfarkt." Paulsen hat viel zu erzählen: von der "Bleiernen Zeit" kurz nach seiner Ausbildung in den frühen 70ern, über die "Goldenen Zeiten des alten Rotlichtmilieus", aber auch vom Umbruch St. Paulis als Heimat der Musikszene.

Eigentlich wollte er als Kfz-Mechaniker nach Buenos Aires gehen. Um seiner Einberufung zu entgehen, heuerte er für zwei Jahre bei der Polizei an. Daraus wurden 41 Jahre und 140 Tage, die er nie bereute. Schon während der Ausbildung verschlug es ihn an die Seilerstraße parallel zur Reeperbahn, wo das Polizei-Schulgebäude stand. "In den Mittagspausen wurden wir von Koberern angeschnackt, echte Originale von St. Pauli, wie der Ex-Profi-Boxer Siegfried Formella. Der war einer der angenehmeren Typen, kein Schläger", sagte Paulsen.

In den Anfangsjahren erlebte er im Kampf gegen linksextremen Terrorismus harte Zeiten: "1971, bei einer Kontrolle an der Stresemannstraße für eine Terroristenfahndung, ignorierte eine Fahrerin unsere Zeichen, gab Gas. Es kam zu einer Verfolgungsjagd, bei der der Beifahrer auf die Polizei schoss. Schließlich wurde die Fahrerin getötet." Es waren die RAF-Mitglieder Petra Schelm und Werner Hoppe. "Unser Schock saß tief. Aber es gab weder für den Schützen noch für uns eine psychologische Betreuung."

Er war froh, als er nach sechseinhalb Jahren im Polizeidienst endlich ein festes Revier bekam: seine Davidwache. "Heute ist St. Pauli hip. Damals war das anders: Innensenator Helmut Schmidt sagte: 'Ein guter Hanseat geht nicht nach St. Pauli'", stellte Waldemar Paulsen fest.

Er selbst hat das Viertel anders erlebt. "Ich hatte großes Glück: Wo sonst hätte ich als junger Polizist derartige Herausforderungen gefunden, vom Kontakt mit einfachen Bürgern auf der Straße über die Prostituierten und Zuhälter bis zu den Musikern?" Er erinnerte sich: "Paul McCartney und Pete Best, erster Drummer der Beatles, mussten beide eine Nacht auf der Davidwache verbringen, weil sie in einer Absteige ein Kondom verbrannt hatten. Das endete damit, dass sie ohne Arbeitserlaubnis des Landes verwiesen wurden." Eine Woche später seien sie schon wieder im legendären Star-Club aufgetreten. Sie hätten den Beat nach Hamburg gebracht, die Zeit der Dorfmusik sei aber schon mit Tony Sheridans Rock'n'Roll vorbei gewesen.

Anfang der 80er habe Paulsen die Zuhälter gut im Griff gehabt. Doch drei Faktoren hätten die Szene verändert: "Während der Aids-Welle haben die Zuhälter die Prostituierten in Bordell-Wohnungen über ganz Hamburg verteilt. Zudem haben Kokain und Heroin die Rotlichtszene gewandelt und nicht zuletzt auch die zunehmende Gewalt auf der Reeperbahn." Neun Tote hat der Killer "Mucki" Pinzner im Auftrag von "Wiener" Peter Nusser hinterlassen. Dass die Politik die organisierte Kriminalität geleugnet habe, habe Hamburg im Kampf gegen das Verbrechen zwei Jahrzehnte gekostet, kritisierte Paulsen. Heute aber können die jungen Leute wieder zum Feiern auf den Kiez gehen.