Entschleunigung: Freizeit funktioniert auch ohne “Taschendrachen“, Handy und Elektroherd

"Taschendrachen" sind für Martin Sprave (45) ein absolutes Tabu - wobei er darunter ein Feuerzeug versteht. Für den Straßenbauer ist es Ehrensache, dass er zum Feuermachen nur Stein und Schläger verwendet. Denn er und seine Frau Angelika Schröder, von Beruf Tischlerin, haben sich in ihrer Freizeit unter den Namen Argast und Runa dem Wikingerleben in der Zeit von 800 bis 1000 nach Christus verschrieben.

Zünftig gewandet in weiten Rus-Hosen und eine lange Tunika, im Ledergürtel steckt ein Köcher für ein Messer mit handgeschmiedeter Klinge, ist der Havighorster ab Mitte Mai an den Wochenenden mit seiner Sippe auf Märkten und in Lagern unterwegs. Seine Frau trägt lange wollene und leinene Kleider - mittlerweile am liebsten handgenäht. Auf den Märkten ist sie eine Näherin. Beide tragen außerdem handgemachte Lederschuhe - rekonstruiert nach Schnitten aus der Wikingerzeit. "Meine Schuhe sind nach Resten zugeschnitten, die in Haithabu bei Schleswig gefunden worden sind", erzählt Angelika Schröder. Ob Zelt, Hausrat, Werkzeug oder Pfeil und Bogen - alles soll möglichst authentisch sein wie damals vor 1200 Jahren.

"Mittlerweile ist aus unserem Hobby eher eine Lebenseinstellung geworden", sagt Martin Sprave. Während der Zeit im Lager ticken die Uhren anders - wenn es denn welche gäbe: "Wenn mir ein Besucher über die Schulter schaut, wenn ich auf dem Markt als Steinmetz arbeite, und sagt: 'Zu Hause würde das aber schneller gehen', hat der nichts begriffen", stellt der Havighorster fest. "Ich habe Zeit. Es soll nicht schneller gehen." Der Reiz des Wikingerlebens liegt für ihn und seine Frau vor allem darin, der heutigen Welt zu entfliehen. "Diese ganze Hektik, dass in der S-Bahn jeder nur auf sein Smartphone starrt - das ist nicht unser Ding", betont Sprave. Er hat ohnehin kein Handy. "Wer will, erreicht mich abends nach der Arbeit zu Hause."

Seine Frau räumt ein: "Das Campen und die Natur muss man aber mögen. Denn man bekommt es mit Ameisen, Mücken, Kälte und Wetter zu tun. Wir haben zusammen schon so manches harte Lager überstanden."

Auf ihren Kaffee mag sie aber nicht verzichten, auch wenn er nicht in die Zeit passt. Selbstverständlich wird er über dem Feuer gekocht. "Das sind die schönsten Stunden morgens im Lager vor dem Zelt", erzählt sie. "Die absolute Ruhe und Entschleunigung." Einige Kompromisse sind aber erlaubt: So gibt es beispielsweise sanitäre Anlagen in den Lagern, mittlerweile schlafen die Havighorster auch nicht mehr auf dem Boden des Zeltes, sondern sie haben ein bequemes Steckbett nach historischem Vorbild bauen lassen.

"Das sieht nicht nur gemütlich aus, mit unseren Schaffellen", sagt Angelika Schröder. Besucher dürfen einen Blick hineinwerfen, wenn sie fragen. Sonst gilt: Ein geschlossenes Zelt ist wie eine Haustür.

Besucher sind aber auf den Märkten immer willkommen, gerade den Kindern wird einiges geboten. Runa und Argast wollen vermitteln, wie die Wikinger damals gelebt haben. Trotz mancher seltsamer Frage ("Ist das Feuer echt?") werde niemand abgewiesen.

"Wir sind vor 13 Jahren so herzlich von den anderen Wikingern aufgenommen worden. Inzwischen ist unsere Sippe Eisenwald, die wir später gegründet haben, wie unsere Familie", erzählt Angelika Schröder. Ihr Mann bestätigt: "Einen solchen Zusammenhalt habe ich sonst noch nie erlebt. Jeder passt auf den anderen auf, ob Handwerker, Krankenschwester oder Manager."

Besucher sind am zweiten Maiwochenende im Erlebniswald Trappenkamp (www.forst-sh.de) bei Neumünster willkommen.